Am Donnerstag haben die Politiker im NRW-Landtag die Gelegenheit dazu, über die Neufassung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages abzustimmen. Die Ministerpräsidenten haben dieser Fassung bereits zugestimmt, zurzeit führen die Parlamente der zuständigen Bundesländer ihre Abstimmungen durch. Die einen sehen darin einen zwingend nötigen Schutz für die Jugend im Netz, die anderen sehen ein unpraktikables Ungetüm, welches nur der Augenwischerei diene. Das Problem: Selbst Jura-Experten steigen kaum durch den Entwurf durch – das sagt Rechtsanwalt Udo Vetter von lawblog.de im Interview, welches in unserem Podcast 235 zu hören ist. Hier ist die Abschrift:
Warum gibt es so einen Aufschrei um das neue Jugendmedienschutzgesetz?
Udo Vetter: Die Diskussion ist völlig berechtigt und sie ist auch wichtig, denn dieser Jugendmedienschutzstaatsvertrag ist ein dickes Ding. Er birgt natürlich die Gefahr, dass das deutsche Internet sich von dem weltweiten Internet abkoppelt. Einfach durch absurde Vorschriften, absurde Reglungen, bürokratischen Wahnsinn und durch Gängelei der Internetnutzer. Und das mit dem Ziel den Jugendschutz zu verbessern. Wobei man heute, wenn man das einigermaßen verständlich würdigt, schon sagen kann: Da kommt nichts bei rum! Also ist die Sorge bei diesem Vertrag völlig berechtigt. Was vielleicht nicht ganz berechtigt ist, ist diese jetzt aufgebrochene, panische Angst, dass Leute sagen, ich muss noch schnell vor dem 1. Januar 2011 mein Blog, meine Webseite oder mein Forum schließen, weil ich sonst Gefahr laufe, mit Bußgeldern überzogen zu werden, die ich mir nicht leisten kann. Ein Grund zur Panik ergibt sich aus den Regelungen, die jetzt verabschiedet werden sollen, mit Sicherheit nicht – auch wenn man sagen muß, dass dies ein bürokratisches Ungetüm ist, gegen das man eigentlich inhaltlich sein sollte.
Den Vertrag gibts ja schon seit 2003. Was genau wird da denn jetzt anders?
Es gibt einen Grund für diesen Aufschrei – der Vertrag ist inhaltlich ziemlich verkorkst. Von den Formulierungen und den Inhalten ist der so unverständlich formuliert, dass selbst ich als Jurist mit 15 Jahren Berufserfahrung wirklich Mühe habe, diesen verquartzten Entwurf zu verstehen. Das will einiges heißen. Wenn jetzt jemand der kein Jurist ist, das liest, dann sieht er solche Begriffe wie “Sendezeit”, “Altersfreigabe”, “Beschränkung” oder “jugendgefährdende Inhalte”. Das sind alles so Schlagworte, bei denen man leider sagen muß, dass diese ein bisschen verallgemeinert worden sind, dahingehend, dass jetzt “Sendezeiten für Blogs eingeführt werden” oder “man muß eine Alterskennzeichnung für Blogs machen”.
Weder Revolution, noch Internet-Zensur
Solche Regelungen haben wir eigentlich schon seit 2003. Wenn ich schon heute jugendgefährdende Inhalte in meinem Blog anbiete, dann gelten schon heute solche “Sendezeiten”. Man kann also nicht sagen, dass hier eine große Revolution kommt und Internet-Zensur eingeführt wird.
Es gibt eine wesentliche Neuerung. Das sind die sogenannten Altersklassifizierungen. Die bedeuten, dass wenn man in seinem Blog Angebote hat, die erst für Jugendliche ab 16 oder gar für Erwachsene ab 18 Jahren geeignet sind, verpflichtet sein kann, Altersangaben einzuführen. Oder man muss sein Blog tagsüber abschalten, wenn Kinder und Jugendliche das Internet erreichen können. Das ist eigentlich auch schon die einzige Änderung. Das Fatale daran und das große Missverständnis ist, dass viele Leute jetzt denken, ich muss mein Blog labeln mit FSK, um das mal untechnisch zu formulieren, also 12, 16 oder 18. Das Gegenteil ist hier aber der Fall. Man muss erstmal gar nichts machen, denn grundsätzlich geht der Gesetzesgeber, das muss man ihm fairer Weise zusprechen, davon aus, dass diese Inhalte in den Blogs erstmal nicht Jugendgefährdend sind. Mam muss also erst einmal nicht belegen, dass man keine jugendgefährdenden Inhalte hat. Wer für sich selber sagt, ich habe nichts was die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zwischen 12 und 18 gefährdet, dann braucht man keine Alterskennzeichnung einführen. Es gibt also keinen Handlungsdruck.
Welche Leute müssen denn an ihrem Blog überhaupt was machen?
Also es ist einfacher zu sagen, wer nichts machen muss. Erstmal muss derjenige nichts machen, der für sich sagt, ich habe keine jugendgefährdende Inhalte. Ich bitte da auch mal das Beispiel Fernsehen zu sehen. Zum Beispiel was für Filme ab 12 Jahren freigegeben sind. Da kann man sich vorstellen, dass 99,9% der Blog-Inhalte jugendschutzrechtlich völlig unbedebklich sind. Die wenigsten Blog-Betreiber schreiben und veröffentlichen Bilder, die in Richtung Softporno, Gewaltaufrufe oder Gewaltverherrlichung gehen. Die meisten Blogs haben damit überhaupt kein Problem. Sie müssen auch keine Altersfreigabe ab 12 machen, sondern ihre Blogs bleiben so wie sie sind. Nur diejenigen, die zum Beispiel über Computerspiele bloggen, die erst ab 18 freigegeben sind, die vielleicht Splatter Filme, also Horrorfilme der härteren Machart besprechen, die erst ab 16 freigegeben sind, müssen möglicherweise dann Altersangaben auf ihr Blogs setzen, wenn sie diese Filme auch explizit beschreiben.
Horror und Erotik dürfen weiter Thema sein
Natürlich ist es legal über einen Horrorfilm zu schreiben, der erst ab 16 freigegeben ist. Ich kann schreiben, dass der ins Kino kommt. Solange ich keine jugendgefährdenden Inhalte transportiere darf ich darüber schreiben. Die Publikation über jugendgefährdende Inhalte, wie Horrorfilme oder erotische Literatur, bleibt nach wie vor uneingeschränkt zulässig.
Wie bei Stuttgart 21
Das ist ja ganz interessant, dass diese Diskussion jetzt erst aufkommt. Der Vertrag wurde ja noch von der Regierung Rüttgers unterschrieben. Ist das jetzt nicht schon ein bisschen spät?
Das ist eine ähnliche Entwicklung wie bei Stuttgart 21. Es wurden hier gesetzesgeberische Pläne gemacht, die so verdreht formuliert sind, dass nur die Hyper-Experten begriffen, worum es eigentlich geht. Es gab ja auch unterschwellig immer eine Diskussion um diesen Vertrag, aber die Blogger, die Menschen die ins Internet schreiben haben erst relativ spät gemerkt, dass es sie auch persönlich betreffen kann. Kann, muss aber nicht. Und da ist das halt eine ähnliche Diskussion wenn man merkt, das wird jetzt aktuell. Und wenn derjenige, der im Internet schreibt, den Handlungsdrück spürt, sprich am 1. Januar kann es für mich Ärger geben, dann ist die Panik natürlich da. Und dann werden viele Dinge auch schonmal etwas überspitzt transportiert und auch durchaus falsch verstanden. Der zynische Blogger kann also ganz normal weiter schreiben, und nicht befürchten, dass die Wächter mit der 50.000-Euro-Strafkelle winken. Das könnten die heute auch schon machen. Bei diesen Gesetzen ist ja oft das Problem, dass es Defizite beim Vollzug gibt. Das sind Gesetze, die für das Publikum gemacht werden – nach dem Motto “seht her, wir tun was”. Letztendlich gibt es Personal, noch Energie und die Chuzpe das Gesetz umzusetzen.
Es gibt ja auch die Diskussion, dass man im Impressum auf einen “Jugendschutzbeauftragten” verweisen soll. Gilt das für alle Webseitenbetreiber?
Das wird hier sehr stark diskutiert und wie immer gilt: Zwei Juristen, drei Meinungen. Gerade bei einem so schlecht formulierten Gesetz. Man muß auch sagen, dass sich wahrscheinlich die meisten Blogs auf ein Redaktionspriveleg berufen können. Denn: Anbieter, die sich tagesaktuell, politisch oder gesellschaftlich-relevant äußern, was die meisten Blogs machen, fallen nicht unter diese neuen Regeln.
Blogger “dank” Bild nicht betroffen
Zeitungen äußern sich ja auch wie Blogger zum Tagesgeschehen und äußern Meinungen und besprechen gesellschaftliche Tendenzen und da sieht der Jugendschutzmedienstaatsvertrag vor, dass für die keine Altersverifizierung nötig ist. Das bedeutet mit anderen Worten: Wer ein tagesaktuelles Blog hat und sich zu gesellschaftlich-relevanten Themen äußert, dem kann diese Alterskennzeichnung egal sein, da er gar nicht unter die Anwendbarkeit dieses Vertrages fällt. Das hat den Hintergrund, dass es durchaus auch Tageszeitungen und Magazine im Netz gibt, die erotische Inhalte veröffentlichen und damit natürlich auch Leser kördern. Die müßten dass ja einstellen, wenn es für sie kein Priveleg gebe. Gut ist es jetzt, dass Blogger dieses Priveleg nun auch für sich in Anspruch nehmen können. Eine Interpretation des Gesetzes ist, dass nur Blogs einen Jugendschutzbeauftragten im Impressum benennen müssen, wenn sie jugendgefährdende Inhalte anbieten. Das werden aber noch Gerichte möglicherweise klären.
Die Fragen stellten Franziska Bluhm und Daniel Fiene. Die Abschrift erstellten Tobias Limbach und Daniel Fiene. Das Interview war auch in der Sendung mit dem Internet bei Antenne Düsseldorf zu hören.