/

Was die ZEIT rund um ihre neue Zeitungs-App gelernt hat

Im Zuge unser App-Entwicklung haben wir uns intensiv mit Audio-Apps beschäftigt. Wir mussten an ein Thema in unserem Podcast von Anfang des Jahres zurückdenken: Als das Zeit-Team uns berichtete, wie sie ihre Zeitungs-App neu gedacht haben, spielte Audio eine große Rolle.

Was wir mitgenommen haben:

  • Was die Statistik zur alten Zeit-App verriet: Ein Drittel der App-Nutzer:innen hören Audios. Obwohl nur rund 15 von rund 100 Texten professionell eingelesen werden.
  • Mit den Audio-Texten kann die ZEIT auch als Nebenbeimedium genutzt werden (beim Sport, unterwegs oder parallel zu Haushaltstätigkeiten).
  • Auch die Leser:innenbefragung für die neue App zeigte deutlich: Audios sind sehr gewünscht.  Die Parallelität von Audio und Text wird von einem großen Teil der Zielgruppe sogar inzwischen erwartet.
  • Audio dient auch als Funktion, mit der die Zeitungs-App wirbt: In den App-Stores und auf der Homepage wird Audio als zentraler Mehrwert präsentiert. Die Zeit weist sowohl auf die eigenen Podcast-Formate, als auch auf die vorgelesenen Artikel hin.

Worüber man diskutieren kann: Sollten vorgelesene Texte von echten Personen (zwingt zur Auswahl) oder synthetischen Stimmen (jeder Text wäre vorlesbar) vorgelesen werden? In unser Podcast-Diskussion gewann der persönliche Text (siehe Mehr Hintergrund).

Was bleibt: Automatische Vorlesefunktionen bei News-Apps sind nicht neu. Aber in der neuen Generation von Content-Apps rückt Audio in die erste Reihe – aber dann bitte auch von echten Stimmen. Als wir darüber diskutierten, war der Social-Audio-Trend für dieses Jahr noch nicht sichtbar. Clubhouse wartete in Deutschland noch auf seine zweiwöchige Popularität, Facebook hatte noch keine Audio-Strategie ausgerufen, Apple hatte Paid-Podcasting noch nicht angekündigt. Mittlerweile stellt auch der Spiegel das Thema Audio in den Mittelpunkt und hat sogar ein eigenes Audio-Abo eingeführt.


Mehr Hintergrund im Podcast: So hat die ZEIT ihre App neu gedacht

🎧 Den Werkstattbericht von Götz Hamann und Thorsten Pannen hört ihr in unser Podcast-Episode 687 ab Minute 47.


Mehr Hintergrund aus unserem Newsletter (#29) Wie die ZEIT Zeitungs-Apps neu denkt

Wir haben mit Götz Hamann (Redaktionsleiter Digitale Ausgaben der ZEIT) und Thorsten Pannen (Leiter Produktentwicklung bei ZEIT ONLINE) über den Entstehungsprozess der neuen App der Wochenzeitung gesprochen.

Götz Hamann erwartet nach dem ersten Hype vor zehn Jahren eine neue Generation an Apps für digitale Editionen:

“Verlage stellen zunemehnd fest: In Inszenierung und Schönheit zu investieren macht das Digitalangebot wertiger. Das hat positive Folgen für Engagement und die Haltedauer von Digitalabos. Was bisher nice to have war —davon bin ich überzeugt— wird zunehmend von einer ökonomischen Rationalität unterfüttert.”

Auch Thorsten Pannen ist sich sicher, dass ein neues Level bei der Digitalisierung von Zeitungen nötig ist:

“Überraschenderweise ist aus den PDF-Ausgaben mehr als eine kurzlebige Brückentechnologie geworden. Vielleicht liegt es auch daran, dass engagiert gestartete digitale Editionen schnell ausgenüchtert wurden.”

Inzwischen gibt es auch ganz neue Bedürfnisse in der Nutzerschaft. Wie die ZEIT diese bedienen möchte, und wie das Zeitungserlebnis in das Digitale übertragen werden soll, darum ging es in unserem Podcast-Gespräch.

Das sind unsere Learnings:

👉 Der Prozess: Los ging es vor 1,5 Jahren. Auf vier DIN-A0-Zetteln haben Götz und Thorsten die ersten Ideen notiert. Es folgten unzählige Diskussionen innerhalb des Hauses (“Wir sind ja bei der ZEIT”), eine umfangreiche Leser:innen-Befragung und Workshops mit einer externen Strategiebegleitung. Am Ende ist die App zum allergrößten Teil im Haus umgesetzt worden.

👉Was die Nutzerschaft möchte:

  • Die Leserschaft wünscht sich ein Leanback-Produkt. Genutzt wird die App in diesen Szenarien (und in dieser Reihenfolge): Sofa, Bett, Garten, Urlaub, auf dem Weg zur Arbeit und dann am Küchentisch.
  • Die Leserschaft möchte ein begrenztes Angebot. Wie bei einem Buch möchten die Leser:innen irgendwann fertig sein. Tiefe statt Schnelligkeit wird geschätzt. Dieses Bedürfnis wird im digitalen Journalismus wenig bedient. Bisher fallen kleinere Publikationen wie Riffreporter, Krautreporter oder das britische Tortoise-Media mit einem bewusst begrenzten Angebot auf.
  • Das Bedürfnis nach Schönheit, Tiefe, Orientierung ist gewachsen. Das liegt sicherlich auch an den Zeitläufen, in denen wir leben. Auch dieses Feld wird von digitalen Medien bisher kaum bedient.
  • Audios sind sehr gewünscht. Die Parallelität von Audio und Text wird von einem großen Teil der Zielgruppe erwartet.

👉Die Learnings:

  • Die Leserschaft verbringt mit jeder Ausgabe 30 Minuten +. Für Web-Maßstäbe ist das sehr viel.
  • Gestaltung darf sich nicht nur auf den ersten Screen erstrecken. Die Herausforderung dabei: Wie können über eine lange Textstrecke bessere Wieder-Einstiegs-Punkte und Atempunkte inszeniert werden.
  • Ein Drittel der App-Nutzer:innen hören Audios — obwohl derzeit nur rund 15 von rund 100 Texten professionell eingelesen werden. So kann die ZEIT auch als Nebenbeimedium genutzt werden (beim Sport, unterwegs oder parallel zu Haushaltstätigkeiten).
  • Die Nutzung beginnt am Mittwochabend. Am Donnerstag gibt es den Höhepunkt und am Wochenende eine Wiederbelebung. Montag und Dienstag sind tote Tage. Deswegen gibt es eine neue “Heute”-Seite, auf der unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. Bei Weltlagen können Texte ergänzt werden.
  • Viele digitale Editionen werden linear gelesen. Inhalte mit einer vorderen Platzierung sind im Vorteil. Damit mehr Texte beachtet werden, hilft auch hier die neue “Heute”-Seite. Jeden Tag werden vier Texte empfohlen, die aus der bisherhigen Erfahrung wenig gelesen worden sind, aber zum Tag passen.
  • Weniger ist mehr. Zwar haben die Texte kein Standardlayout, wie dies von den meisten Webseiten bekannt ist – es gibt aber auch keinen Multimedia-Overkill. Im Kern werden gut gestaltete Texte mit unterschiedlichen Optiken angeboten. Animationen und Videos werden nur homöopatisch eingesetzt.

👉Die Herausforderung:

  • Eine Zeitungsseite bietet 1,5 Quadratmeter Raum zur Gestaltung. Das gibt es im Digitalen nicht. Die Bildschirme sind kleiner und haben je nach Gerät unzählige Größen. Wenn der Text in die Gestaltung einfließt und den visuellen Gesamteindruck prägt, entsteht diese Wucht nur auf dem Papier. Digital muss Inszenierung anders geschehen. Zum Beispiel durch lebendige Photographie (Mikroanimationen).
  • Eine Idee von Götz Hamann hat es nicht in die App geschafft: Das lyrische Tier. Ein animiertes Tiers, das ein besonderes Gedicht vorträgt. Aber vielleicht kommt das ja noch …

Was mit Medien Daily ist das werktägliche Schlaglicht auf den Medienwandel. Täglich auch in unser neuen App. Einmal die Woche auch im Überblick in unserem kostenlosen Newsletter.

Voriger Artikel

New York Times führt Bezahlschranke für viele Newsletter ein

Nächster Artikel

Analyse zeigt qualitative Defizite bei journalistischen Top-Podcasts

0 0,00