Sascha Lobo
Foto: Jan Zappner/re:publica
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Sascha Lobo: “Ein redaktionelles Medium ohne eigene Community ist heutzutage nicht mehr denkbar”

Wem geben wir das letzte Wort unserer letzten Radioausgabe? In unsere letzte Sendung bei Deutschlandfunk Nova haben wir Internet-Vordenker Sascha Lobo zur Medienkritik eingeladen. Ein Gespräch über verpassten Fortschritt, Vertrauensverlust, Umgang mit Verschwörungsmythen und mit einem positiven Blick in die Zukunft. Lest hier das leicht geglättete Transkript unseres Gesprächs (zum Podcast).

In einem Jahr ist Bundestagswahl. Vor der letzten Bundestagswahl 2017 hast du dich schon mit der Stimmung zwischen Lügenpresse, Fake News und den Vertrauensverlust in Medien beschäftigt. Da hast du geschrieben: “Für viele Menschen sind Medien unglaubwürdig, wenn nicht gar die Hauptschuldigen am Übel dieser Welt. Das stimmt zwar nicht, aber die Medienhäuser tragen eine Mitverantwortung und müssen sich ändern.” Wie hat sich das Verhältnis zwischen Medien und Publikum seitdem verändert?

Sascha Lobo Seit 2017 beobachte ich als positiven Punkt, dass sehr viele Redaktionen speziell auch in Deutschland gemerkt haben, dass sie sich auch selbst weiterentwickeln müssen. Das war zwar vorher auch schon gesagt worden, aber das war nicht in der kompletten Tiefe in den Köpfen angekommen. Als negativer Punkt: Diese Entwicklung in den Medienhäusern vermochte leider nicht einen Graben zuzuschütten. Der ist aus meiner Wahrnehmung sogar weiter aufgerissen. Wir haben heute Phänomene wie QAnon, die ganzen Anti-Corona-Demos, die Coruna-Leugner, die teilweise “die Medien als Hauptschuldige der gesamten Missstände der Welt” bezeichnen. Leider ist da etwas aus dem Ruder gelaufen, was 2017 schon erkennbar war. Obwohl redaktionelle Medien in Deutschland angefangen haben zu reagieren, ist das noch nicht das Rezept, mit dem wir das Problem in den Griff bekommen.

Glaubst du, dass viele Medienmacher*innen diese Phänomene und gesellschaftliche Veränderungen schon komplett verstanden haben?

Sascha Lobo Aus meiner Sicht ist das schon deswegen sehr unwahrscheinlich, weil ich nicht glaube, dass irgendjemand komplett verstanden hat, was da vor sich geht — inklusive mir natürlich. Das möchte ich nochmal hervorheben. Ich selbst verfolge das Thema zwar und habe das Privileg, dazu arbeiten zu können. Aber ich würde mir nie anmaßen zu sagen, ich habe das komplett verstanden. Wir erkennen erst die Umrisse davon, was zum Beispiel soziale Medien-Öffentlichkeiten für eine Wirkmacht in manchen Köpfen, in manchen Gruppen entfalten. Das ganze große Feld der alternativen Medien gibt es technologisch seit weit über zehn Jahren in diesen verschiedenen Ausprägungen. Jetzt entfaltet es eine Wirkung, die größer ist, als wir mal 2010 gedacht hätten. Soziale Medien erlauben eine parallele Realität herzustellen. Das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein. Sie werden teilweise als Antidot gegen eine redaktionelle Medienlandschaft gesehen, bloß eben in genau umgekehrten Sinn. Da sind Menschen, die noch die größten Phantasmen genau dann glauben, wenn sie gerade nicht von redaktionellen Medien kommen, sondern von irgendwelchen kleinen “alternativen Medien”.

Hast du Lösungsansätze, was man machen könnte, um diesen Graben wieder ein Stück weit zuzuschütten?

Sascha Lobo Ich weiß gar nicht, ob die Lösung ist, diesen Graben zuzuschütten. Der erste Schritt der Lösung wäre überhaupt erstmal eine Analyse dieser verschiedenen Gegenwarts-Phänomene. Was ich gerade von klassischen redaktionellen Medien in den letzten Jahren häufiger gehört habe, sind Zitate von Umfragen die sagen “So schlimm ist es nicht”, “67,8 Prozent der Leute glauben laut ZDF ARD ONLINE Monitoring Studie immer noch, dass die Medien ganz vertrauensvoll sind” … das sind aus meiner Sicht häufig selbstberuhigungende Maßnahmen. Das ist total nachvollziehbar und verständlich, weil wir alle uns vor diesen Phänomenen gruseln. Eine realistische Bestandsaufnahme ist, dass eine unfassbar große Zahl von Menschen ein Vertrauen verloren hat, nicht nur in Medien, sondern in viele Institutionen. Deshalb werden auch die Medien quasi als Botschafter der Welt ins eigene Wohnzimmer geschlagen — statt der Welt. Die Welt ist böse, die Welt ist schlecht, und der Überbringer der Botschaft, nämlich die klassischen redaktionellen Medien, werden dafür verantwortlich gemacht. Das zu durchsteigen, das zu verstehen und darauf zu reagieren, da braucht man eine Vielzahl von Rezepten. Ich habe jetzt leider kein generelles Rezept vorrätig.

Was würdest du dir in der Medienlandschaft weniger wünschen? Was mehr?

Sascha Lobo Es geht zum Glück überhaupt nicht darum, was ich mir wünsche. Ich bin ein sehr textbasierte Mediennutzer. Deswegen würde ich sagen: Ich möchte überall dauernd immer Text haben, und ich weiß nicht, ob das im Sinne von so vielen Leuten ist. Was ich aber glaube, ist, dass sich eine bestimmte Haltung verändern muss. Wir haben zum Beispiel dieses große Thema der Transparenz. Transparenz ist etwas, wo das Internet eine eigene Forderungslandschaft aufgestellt hat. Dinge werden für selbstverständlich gehalten, die früher nicht selbstverständlich waren. Was bedeutet das konkret? Das Internet ist eine Art Transparenz-Maschine und verändert die Erwartung der Menschen. Das heißt, ich sehe: Okay, da schreibt jemand über die CDU, über die SPD. Aber ich weiß gar nichts über diese Person. Dann fange ich an zu googeln und merke huch, das ist ja ein Journalist, der ist SPD-Mitglied. Das hätte ich aber gerne gewusst, wenn ich diesen Artikel lese. Das ist jetzt ein kleines Detail-Beispiel. Aber diese Form von Transparenz, die im Internet für selbstverständlich gehalten wird, ist in vielen Medienhäusern noch immer nicht angekommen. Dass man sehr deutlich zeigt: Wer spricht aus welcher Perspektive, mit welchem Hintergrund? Und auch die Einordnung der eigenen politischen Position. Und das ist nur der Anfang von dem, was diese Transparenz- Maschine Internet mit sich bringt. Da gibt es dann neben Transparenz noch eine ganze Reihe von anderen Forderungen, die durch das Internet größer und stärker werden. Man könnte zum Beispiel noch die Möglichkeit zum eigenen Quellenstudium mitbringen. Es ist noch immer nicht selbstverständlich, dass man seine Quellen verlinkt und offenlegt und nachvollziehbar macht. Man könnte zum Beispiel versuchen, eine Gabe des Netzes, nämlich die Echtzeit-Berichterstattung, auf ein anderes Level zu heben. Das es nicht nur atemlose Ticker produziert, sondern dass man versucht nachzuvollziehen und selbst quasi als primus inter pares, als erster Mensch im Publikum vor diesen Geschehnissen der Welt zu stehen und nicht ständig zu behaupten “Wir sind ganz vorne dabei und können alles erklären in dem Moment, wo es geschieht”. Da sind so Mechanismen, von denen ich glaube, sie könnten vom Netz in die Redaktionen sehr viel deutlicher hineingetragen werden.

Noch mal zurück zu den alternativen Medien, die sich Techniken bedienen, die schon seit Jahren im Netz existieren, gerade aber ihre volle Wirkung entfalten. Was machen sie “besser” in im Vergleich zu klassischen Medien was den Wirkungsgrad angeht?

Sascha Lobo Da fällt mir vor allem eine Sache ein, die aus meiner Sicht sehr viele redaktionelle Medien entweder noch nicht in vollem Umfang durchdrungen haben oder sogar ablehnen. Beides ist mir schon begegnet. Ein redaktionelles Medium ohne eigene Community ist heutzutage nicht mehr denkbar. Mit eigener Community meine ich den vollen Umfang dieses Begriffs Community. Nicht, dass man so ein paar Usernames im Forum anbietet und irgendwie ein paar Kommentare mal zwischendurch freischaltet. Was ich eigentlich meine, ist, dass Medien, gerade Nachrichtenmedien, eigentlich von einer Community aus gedacht werden sollten — radikal publikumsfixiert. Das heißt nicht, dass man denen nach dem Mund redet. Das wollen die meisten Menschen sogar noch nicht einmal. Es gibt Leute, die das wollen, aber ich glaube, das ist nicht der Durchschnitt. Ich halte den Durchschnitt für etwas weiter oben angesiedelt, vom Verständnis her, als viele Leute das befürchten. Ich sehe, dass eine Vielzahl von Community-Mechanismen, die theoretisch möglich wären, heute in Medienhäusern entweder nicht angewendet werden oder so ein bisschen unter ferner liefen firmieren. “Das ist nicht so wichtig. Das Wichtige sind die Edelfedern, die da total tolle Sachen schreiben.” Ich glaube daran, dass Medienhäuser eigentlich Communities sein müssten, und zwar Communities mit einer eigenen, nachrichtlich aufgestellten Marke. Produktseitig anhand von ständiger Echtzeit-Datenauswertung zu experimentieren, was bei der Community am besten und am wirksamsten journalistisch funktioniert.

Wenn Redaktionen Communities in unserer Gesellschaft identifizieren, berichten sie lieber über sie, statt für sie.

Sascha Lobo Es ist ja noch viel krasser. Wenn man sich die großen politisch radikalen Erfolgsstorys der letzten fünf Jahre anschaut, dann sind das mediale Geschichten von Communities. Wenn wir uns sowas wie Breitbart anschauen, was für sehr viel Aufmerksamkeit und Aufruhr gesorgt hat und mit dazu beigetragen hat, dass Donald Trump in den Vereinigten Staaten gewählt werden konnte, dann ist das ein ziemlich eindeutiges Community-Instrument. Das ist nicht nur eine Nachrichten-Plattform, sondern das ist eigentlich eine Community, die eine Art eigene Redaktion auf den Leib geschnitten bekommen hat. Anhand von Datenauswertung, anhand von Einschätzungen, anhand von einzelnen herausgehobenen Figuren, die ganz eng verknüpft waren mit ihren Communities. Und das kann man weiter durchdeklinieren. Dafür gibt es auch in Deutschland Beispiele, auch sehr viel größere und dunklere. Das schon erwähnte QAnon ist tatsächlich eine Art Community, die im Minutentakt neue Medien hervorbringt, die jeweils unfassbar erfolgreich sein können. Vor ein paar Tagen hat Facebook mehrere Millionen Profile gelöscht und die dazugehörigen zehntausenden Gruppen, die alle für einen zumindest dieser Verschwörungstheorie in Kontakt standen. Ich glaube, daraus kann man auch wenn das dark ist, und auch wenn das schwierig ist, etwas lernen, nämlich die Macht der Verbindung aus Community und redaktionellem Medium.

Der Wechsel der Kommunikation ins Private, in Gruppen oder Messenger macht die journalistische Arbeit unübersichtlicher. Macht es der Dark Social Trend in Zukunft noch schwieriger, einen Überblick über die komplette Medienlandschaft zu bekommen?

Sascha Lobo Man muss dazu sagen Dark Social ist ein Begriff, den Alexis Madrigal 2012 in die Welt gesetzt hat, um die Messenger-Welt abzubilden. Er hat festgestellt, dass ganz viele Links zu seinen Artikeln von z.B. WhatsApp ausgegangen sind, wo man gar nicht richtig nachvollziehen konnte, wo denn dieser Traffic her kam. Der Begriff Dark Social muss inzwischen sehr viel größer aufgespritzt werden. Ich benutze ihn zwar auch noch, aber ich glaube, das ist gar nicht so hilfreich. Grundsätzlich geht es hier um Community-Mechanismen. Ob die dann in dem nominellen Dark-Social-Teil kommunizieren, also in irgendeinem Messenger, von dem noch nie jemand gehört hat, oder in einer verborgenen Facebook-Gruppe oder in einer nur halb verborgenen Facebook-Gruppe oder auf einem privaten Twitter-Profil, das ist denn am Ende gar nicht mehr so wichtig. Es geht hier um Grund-Mechanismen, wie der Weiterempfehlung, ein ganz zentrales Kriterium für Communities. Wer empfiehlt wem, wann, was und in welcher Konstellation? Das zu bedienen, und das sehr viel stärker auch inhaltlich auszurichten, und nicht nur technologisch, das halte ich für eine sehr wesentliche Aufgabe von Medienhäusern. In der Community, mit der Community entlang, diese medialen Produkte auszugestalten. Es sagen ganz viele, dass sie das tun. Ich erlebe aber nicht, dass ich da auch eine messbare Wirkung sehe.

Google und Facebook bestimmen den digitalen Werbemarkt. Das Verhältnis zu Medien ist oft angespannt. Auf der einen Seite gibt es den Reiz der Reichweite, auf der anderen Seite ein schiefes Abhängigkeitsverhältnis. Was kommt in der Diskussion über das Spannungsverhältnis zwischen Medien und Internet-Plattformen oft zu kurz?

Sascha Lobo Oft zu kurz kommt aus meiner Sicht, dass diese Plattformen zwar durchaus bis in die Bösartigkeit hinein operieren — das kann man nicht anders sagen — aber dass sie trotzdem auch einige sehr vorteilhafte Funktionen mit sich bringen. Dass Google und Facebook durchaus einen gigantischen Mehrwert bereitstellen, und zwar zunächst erst einmal gesellschaftlich. Ich möchte das gar nicht schönreden, ich möchte bloß differenzieren und eben nicht dieses ewige Feindschaftsgetöse unterstützen. Wir sehen, wie krass Google und Facebook in vielen Bereichen funktionieren und dass dahinter knallharte und sehr unfaire Entscheidung stehen können. Marktmachtausnutzung als Stichwort. Was Werbung angeht, was die Instrumentarien angeht, mit denen man das auswertet. Aber: Ich sehe eben auch, dass diese Plattformen eine Funktion für die Gesellschaft haben können, die eine sehr positive ist, von denen man lernen kann. Und das kommt mir häufig zu kurz. Es kommt mir deswegen zu kurz, weil ich darin eine mediale Chance sehe, nicht diese Plattformen zu loben, sondern bestimmte Eigenschaften der Plattform für sich zu nutzen, auch wenn Google und Facebook das natürlich im Verlauf der Zeit immer schwieriger gemacht haben.

Wir haben das Jahr 2020, und viele Verlage scheinen sich mit dem Netz, Medienwandel und der Digitalisierung immer noch nicht vollumfassend angefreundet zu haben. Was machen viele Verlage falsch?

Sascha Lobo Ich glaube, das kann man gar nicht mehr so generalisieren, weil die Verlage in den letzten Jahren schon ziemlich große Fortschritte gemacht haben. Es ist nicht so, dass da gar niemand irgendwas verstanden hat. Vor zehn Jahren konnte man als Internetperson noch behaupten, niemand habe irgendwas verstanden außer mir. Ich glaube, dass inzwischen relativ viele Leute sehr viel verstanden haben. Aber da gibt es ein ganz grundsätzliches strukturelles Problem bei digitalen Anwendungen im Netz. Die digitale Welt entwickelt sich so schnell weiter, dass es sehr schwierig ist, in den klassischen Unternehmenstakten darauf richtig zu reagieren. Da sind die Unternehmensstrukturen nicht nur von Medienhäusern, sondern von fast allen Unternehmen zumindest in Deutschland, so auf Effizienz und Effektivität und Gründlichkeit gebürstet, dass ihnen diese hohe Geschwindigkeit alles andere als leicht fällt. Ich glaube, das ist eines der Grundprobleme, das die deutsche Medienlandschaft zwar wirklich eine Vielzahl von Leuten inzwischen hat, die sich auskennen und die gute Sachen machen, die Apparate dahinter sind aber noch nicht auf dieses hohe Tempo, auf diese schnellen Wechsel, auf diese sehr radikale Fixierung auf Datenauswertung und Strategie-Neuausrichtung gepolt. Das brauchen wir viel stärker. Es wird häufig von datengetrieben geredet. Aber was faktisch der Fall ist, ist, dass man irgendwie ein Instrument kauft und denkt “Okay, jetzt spuckt es die nächsten drei Jahren uns die Daten aus, anhand der wir dann irgendwie schönere Artikel schreiben oder mehr geklickte Videos machen oder was auch immer.” Ich glaube, das muss viel tiefer in die strategischen Entscheidungen eingebaut werden. Diese Datengetriebenheit ist sehr, sehr schwierig zu vereinbaren mit klassischen deutschen, institutionellen, redaktionellen Apparaten.

Das gilt wahrscheinlich nicht nur für Verlage, sondern auch grundsätzlich für Medien. Lass uns auch auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk schauen. Der steht auch unter Druck. Zumindest kann man auch feststellen, dass er sich sehr gerne mit sich selber beschäftigt. Wie könnte sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk das Leben einfacher machen?

Sascha Lobo Das ist eine sehr große Frage. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann man gar nicht so in einen einzigen großen Topf werfen. Ich muss dazu sagen, dass ich häufig mit verschiedenen öffentlich-rechtlichen Rundfunkhäusern zusammenarbeite, auf vielen verschiedenen Ebenen. Ich habe mit dem ZDF Neo zum Beispiel ein paar Filme gedreht. Ich bin regelmäßig in allen möglichen Sendungen unterwegs, und da bestehen auch teilweise sehr kollegiale Verhältnisse. Wir hängen mit den öffentlich-rechtlichen Medien eigentlich zwischen zwei Welten. Die eine ist eine politische Rechtfertigungswelt, wo absurde Forderungen von privaten Verlegern kommen, die einfach komplett anachronistisch daherkommen. Sowas wie Depublikation. Das halte ich für einen kompletten Unfug, der heutzutage einfach nur gar nichts bringt und nur noch eine atavistische Quatsch-Forderungen von privaten Verlegern darstellt. Auf der anderen Seite ist es tatsächlich ziemlich schwierig, für viele öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten genau zu greifen: Was ist eigentlich das, was junge Menschen als Inhalt wirklich auch anzieht? Ich glaube, dass es ein gigantischer Aufwand, in Strukturen von öffentlich-rechtlichen Sendern und Rundfunkanstalten die Bedürfnisse einer hoch vernetzten Millennial-Jugend einzubauen. Ich glaube nicht, dass es unmöglich ist. Aber da wäre für mich das größte Potenzial, dass man ganz viele von den Strukturen beiseite räumt und erst mal eine sehr offene Fläche schafft, auf der dann diese Bedürfnisse solcher jungen Menschen überhaupt adressiert werden können.

Was stimmt ich optimistisch für die Zukunft der Medien?

Sascha Lobo Ich möchte sehr gern optimistisch sein. Das ist der Hauptgrund, warum ich optimistisch bin. Für die Zukunft der Medien stimmt mich positiv, dass so wahnsinnig viele Leute gemerkt haben, in bestimmten Situationen ist ein öffentlich-rechtlicher, verlässlicher Informationsfundus eine Basis an Informationen, auf die man sich verlassen kann, absolut essenziell. Ich meine, das Beispiel ist ausgelutscht, aber es ist deswegen ausgelutscht, weil es so groß und so gut und so wichtig ist: Wie wäre Deutschland aufgestellt gewesen, ohne den Drosten-Podcast vom NDR? Das ist eine derartige Referenz, die so viele Leute beruhigt hat, auch wenn es nur über Bande, über Zitate in Artikeln war. Das ist eine ganz klassische öffentlich-rechtliche Anwendung, genau dann da zu sein, wenn man gebraucht wird, und das Format anbieten zu können, was die Leute ganz offensichtlich selbst auch für sich in ihren Tag einbauen konnten. Ich glaube, das ist ein sehr schöner Punkt, in welche Richtung es gehen kann. Da braucht man Geschwindigkeit, da braucht man eigene Formate, da braucht man eigene Weiterentwicklung. Ich glaube, so abgelutscht das Beispiel ist, so richtig ist es auch.

Dir soll das letzte Wort unserer letzten Radioausstrahlung gehören: Was ist dein Appell an Medienmacher*innen?

Sascha Lobo Mein Appell an Medienmacherinnen und Medienmacher ist in erster Linie, sich viel intensiver um die Community zu kümmern. Und zwar auch dann, wenn es schmerzhaft ist, und zwar besonders, wenn es schmerzhaft ist. Ich glaube nämlich, dass ganz viel von dem, was man eigentlich tun müsste, bereits aus den Reaktionen des Publikums heraus lesbar ist. Ich glaube, dass ein großes, intensives, inszeniertes Austauschevent, egal ob digital oder vor Ort, mehr darüber sagt, was eigentlich notwendig ist, als ein 180-seitiges Strategiepapier von einer sehr teuren Unternehmensberatung. Stärker zuzuhören, ist auch hier ein völlig abgelutschter Begriff, aber nur deswegen, weil die Art des Zuhörens aus meiner Sicht zu oft falsch verstanden wird. In den Austausch gehen ist besser als zuhören. In den Austausch gehen heißt nämlich nicht nur zuhören, sondern auch selbst drauf reagieren und wieder eine Reaktion darauf bekommen und wieder darauf reagieren und hin und her einen klassischen Dialog führen. Und das auf einer Ebene, die den Namen Community verdient.

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