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90 Jahre Radio — 90 Wünsche an das Radio

Na? Hat dich dein Radiosender auch nach deinem liebsten Radioerlebnis gefragt? Gab es noch einmal ganz originell die Highlights aus neun Jahrzehnten zu hören? Durftet ihr euch noch mal eure Lieblingsmusik wünschen oder sagen, wie ihr euch das Radio in 90 Jahren vorstellt? Kein Wunder: Heute vor 90 Jahren hat in Deutschland der reguläre Radiobetrieb begonnen.

Ich will nicht zurück noch 90 Jahre in die Zukunft blicken. Ich habe einfach 90 Wünsche an das Radio.

  1. Radio im Wandel
    Lass dich nicht auf den deutschen Branchen-Pessimismus ein.
  2. Vergiss nicht, dass die einzige Konstante der Wandel ist.
  3. Der deutsche Radiomarkt ist schrecklich langweilig – ändere das. Wo bleibt ein Radiolabor?
  4. Frage dich jedes Jahr, mit welchen technischen Geräten die Hörer ihren Tag verbringen und wie du dort mit deinem Programm präsent sein kannst.
  5. Frage dich jedes Jahr, auf welchen Wegen die Hörer mit dir kommunizieren möchten. Hörst du zu? Antwortest du? Oder stehen die Hörer vor einem verschlossenen Tor? (Ja, da müssen Redaktionsabläufe angepasst werden …)
  6. Kooperiere mit anderen Medien – vom kleinen Nachbarschaftsblogger bis zur großen Zeitungsredaktion. Komplementäre Erzählweisen rund um ein Thema machen es nachhaltiger.
  7. Respektiere, dass es Unterhaltungsradios ohne journalistischen Anspruch gibt (die werden sich in Zukunft immer stärker mit Konkurrenz aus ganz anderen Medien-Bereichen auseinandersetzen und können sich dem Wandel nicht verschließen).
  8. Sei eine Instanz, statt von allem ein bisschen.
  9. Radio und Musik
    Vergiss nicht, dass die meisten Menschen dich immer noch wegen der Musik hören.
  10. Nimm Spotify nicht als Konkurrenz wahr (Plattenläden, CD-Shops oder iTunes müssen das schon machen).
  11. Mische individuelle Hörerplaylisten (iTunes, Storify) mit deinen Inhalten (und Werbeblöcken). Das ist eine phantastische Ergänzung zu deinem regulären Programm.
  12. Erkläre besser, wann welche und vor allem wie häufig Musik kommt.
  13. Radio und Hörer
    Sprich deine Hörer einheitlich an. (Warum im Radio Siezen und auf Facebook duzen? Das ist unglaubwürdig).
  14. Der Hörer will auch weiter morgens hören, dass die Welt noch in Ordnung ist.
  15. Der Hörer will eine Mischung aus Leanback und Individualisierung. Warum ignorieren wir in Deutschland letzteres?
  16. Der Hörer gewöhnt sich gerade neue Einschaltgewohnheiten an.
  17. Verpasse nicht die dritte Primetime: Wenn eine relevante Größe an Hörern abends nicht mehr vor der Glotze sitzt, sondern online geht, haben wir dann das passende Programm für deren Ohren?
  18. Sprich die Hörer so an, wie sie sich auch mit ihren Freunden unterhalten (Oder hast du schon mal am Ende eines Telefonats gesagt: “Ich bin Daniel Fiene, Guten Tag!”)
  19. Biete dem Hörer viele Mitmachmöglichkeiten.
  20. Verstehe, dass der Hörer lieber die Mitmachmöglichkeit haben möchte, als dass er sie tatsächlich nutzt.
  21. Beantworte jede (jede!) Höreranfrage. Egal ob per Telefon, Fax oder Facebook.
  22. Es gibt keine dummen Höreranfragen.
  23. Versprich dem Hörer nichts, was du nicht halten kannst. Erkläre warum Dinge so sind, wie sie sind.
  24. Radio und Programm
    Überdenke jedes Jahr dein Programm, aber bleibe konstant.
  25. Sei dir bewusst, dass du kein Gatekeeper mehr bist. Und das ist ein enormer Vorteil.
  26. Sei die bewusst, dass du künftig ein Medium bist, dass Aufmerksamkeit verteilt.
  27. Sei dir bewusst, dass Hörer sich in unserer Informationsgesellschaft überfordert fühlen.
  28. Sei ein Leuchtturm zwischen den hohen Wellen der Infoflut.
  29. Gib’ dem Hörer halt.
  30. Lass den Hörer nichts verpassen.
  31. Vergiss nicht dein Herz beim Programmmachen.
  32. Lenke die Aufmerksamkeit auf die wichtigen Themen für deine Hörer.
  33. Nutze den Longtail: Sende das Wichtigste im Radio und packe die Details und die Nischen ins Netz.
  34. Weniger ist manchmal mehr.
  35. Zelebriere den Live-Moment.
  36. Bereite Live möglichst gut vor. Überlege Trockenübungen.
  37. Habe Konzepte für mögliche (spontane) Live-Events in der Schublade.
  38. Sei dir bewusst, dass Radio nicht mehr das schnellste Medium ist – aber weiterhin ein Ort, an dem eine Masse zum ersten Mal von Themen erfährt.
  39. Bringe Hörer und Experten zusammen. Veranstalte relevante Events und berichte drüber.
  40. Radio und strategische Ausrichtung
    Während du in den letzten 90 Jahren horizontal gedacht hast, denke in den nächsten 90 Jahren vertikal.
  41. Deine Konkurrenz liegt in Zukunft nicht mehr links und rechts in deinem Frequenzspektrum.
  42. Don’t panic!
  43. Beachte welche Medien-Apps links und rechts auf den Displays der Hörer (Smartphone-, Tablet-, TV-Screen) neben deinem Sender-Icon platziert sind — das ist die neue Konkurrenz.
  44. Richte deinen Sender nicht mehr auf einen Frequenzbereich aus, sondern auf ein Thema / Lebensgefühl.
  45. Richte deine Sender nicht mehr auf eine Alterszielgruppe aus (oder willst du in zehn Jahren deine Hörer abgeben?).
  46. Radio und die Webseite
    Akzeptiere, dass das Internet nicht mehr weg geht. (Kleiner Service für die Besucher der Medientage).
  47. Erkläre auf deiner Webseite wer du bist und für was du stehst.
  48. Denke deine Webseite neu: Lass sie einem linearen Programm entsprechen und denke in Streams.
  49. Kopiere weder Spiegel Online noch Tagesschau.de. Die bilden Print und TV ab – aber kein Radio.
  50. Sortiere die Artikel nicht in klassischen Zeitungsrubriken ein. Das ist unoriginell und übersichtlich.
  51. Bringe Ordnung auf deine Webseiten. Findet der Hörer mit weniger als drei Klicks das, was er gerade im Programm hört?
  52. Denke Geographie und Handlung deiner Hörer mit: Wenn ein Hörer einen Ort besucht, du schon drüber berichtet hast, warum ihn dann nicht den Audiobeitrag anbieten? (Foursquare macht es möglich, Links zu Webseiten mit Radiobeiträgen bei Orten zu hinterlegen).
  53. Vermeide den Geburtsfehler von Print-Webseiten: Trenne nicht Online- und Radio-Redaktionen.
  54. Lerne von erfolgreichen internationalen Medien: Setzt Reporter und Programmierer an einen Tisch.
  55. Versuche an jeder Radioschicht ein Stück Online-Arbeit anzudocken.
  56. Zwinge deine Radio-Kollegen nicht zu Online. Wenn sie gute Erfahrungen machen, nutzen sie das Netz von sich aus.
  57. Sei nicht so arrogant und denke, dass die Hörer sich die Mühe machen, und extra deine Webseite aufrufen. So haben wir vor zehn Jahren gesurft. Statt Lesezeichen abzurufen, reagieren wir heute nur auf Links, die uns per E-Mail, Facebook oder Twitter erreichen.
  58. Online First ist Quatsch. Setze lieber auf einen Drei-Phasen-Lebenszyklus von Radioinhalten im Netz: 1.) Vor dem Sendeplatz: Ankündigung. 2.) Während der Sendung: Beschreibung und vertiefende Informationen (+ Links) 4.) Nach der Ausstrahlung: Zusammenfassung, Vertiefung und Nachhören.
  59. Mache deine Webseite responsive, dann braucht es nicht für jedes Mobil-System eine eigene App.
  60. Eat your own Dogfood: Probiere alle Online-Weg zu deinem Sender regelmässig aus und prüfe ob du nachziehen musst.
  61. Radio und On Demand
    Synchronisiere On Air und Online.
  62. Mach es möglich, alle Inhalte noch mal zum Nachhören anzubieten.
  63. Biete nicht nur individuelle Musik- sondern auch individuelle Themenstreams an. Kann sich ein Hörer sein persönliches Radioprogramm mischen, wird das Leute erreichen, die klassisches Radio nicht mehr mögen.
  64. Radio wird Digital
    Akzeptiere, dass es irgendwann kein UKW mehr geben wird.
  65. Achte auf deine technische Unabhängigkeit.
  66. Stichwort Netzneutralität: Lass keine technischen Gatekeeper entstehen, die ihr Händchen aufhalten, damit unsere Programme ein bisschen schneller zu unseren Hörern durchgestellt werden, als die der Konkurrenz.
  67. Weise die Politik darauf hin, dass die Hörer gerade selbst Fakten schaffen: Sie lernen übers Netz Radio zu hören. Sie verstehen nicht, warum sie sich ein DAB+-Gerät kaufen sollen.
  68. Biete deinen Stream in allen gängigen Formaten an – die Hörer wollen ihre Standardprogramme nutzen und sich nicht extra für einen Sender mit ihren Hörgewohnheiten umstellen.
  69. Radio und Social Media
    Vergiss nicht, dass Radio auch ein soziales Medium ist.
  70. Sei Selbstbewusst: Imitiere nicht die Art der Freunde deines Hörers, sondern behandle deine Hörer so, wie im Radio.
  71. Horche jedes Jahr im Umfeld deiner Hörer nach: Welche Netzwerke nutzen die? Wo musst du dein Engagement verstärken oder reduzieren?
  72. Vergiss nicht, dass dein Auftreten in sozialen Netzwerken auch das Image deiner Marke und deines Senders prägt.
  73. Vergiss keine Links auf deine Webseite.
  74. Wichtiger: Vergiss keine Links auf deinen Webstream.
  75. Denke dran, dass 30 Prozent der Hörer, die mit deiner Marke im Netz Kontakt haben, beim nächsten Radiokontakt häufiger deinen Sender einschalten.
  76. Ermuntere deine Reporter, intensiv in das Netz zu gucken: Das Netz macht transparent, was das Volk denkt.
  77. Habe keine Angst vor einem Shitstorm.
  78. Habe ein Worst-Cast-Szenario in der Schublade.
  79. Radio und PR und Business
    Freu dich, dass dein Geschäftsmodell auch mit dem Internet funktioniert (Der Quotenerhebung ist es egal, ob der Hörer per UKW, Kabel oder Internet zuhört).
  80. Verdiene auch Geld im Netz – aber warum nur auf Display-Ads setzen und nicht auch auf Audiospots?
  81. Nutze es aus, dass du ein spezialisiertes Publikum hast – das hilft bei der Monetarisierung.
  82. Richte nicht nur Partys, sondern auch ernsthafte Events aus: Leute sind bereit für Real-Life-Events zu bezahlen (und es gibt kostenlose Inhalte fürs Programm).
  83. Kleinvieh macht in Summe auch Mist.
  84. Nutze neue Werbeformen im Netz, um für deinen Sender aufmerksam zu machen.
  85. Schaue neue Geschäftsmodelle an und überlege, wie du andocken kannst (Beispiel: Radiosender bei Carsharing voreingestellt?)
  86. Braucht es noch Gummibärchentüten?
  87. Radio und Lebensgefühl
    Das Radio der Zukunft spezialisiert sich auf ein Lebensgefühl sein. Das kann eine Stadt sein (Düsseldorf, Hamburg) oder aber ein Thema (Fußball, Kultur).
  88. Sei ein Ort, an dem die Menschen Interaktion und Kommunikation zu ihren Themen wünschen und erleben.
  89. Halte die Antennen geerdet und …
  90. … bleib leidenschaftlich!

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