So geht Radio im Jahr 2020

Heute beginnen die Tutzinger Radiotage, die zum zehnten Mal von der Bundeszentrale für politische Bildung durchgeführt werden. Seit dem letzten Jahr gehöre ich zum Team für die Programmplanung. Wir haben uns zum Jubiläum die Hausaufgabe gegeben, unsere Vision für das Radio in zehn Jahren zu zeichnen. Wer auf den Tutzinger Radiotagen ist und sich nicht langweilen möchte, wenn ich meine Vision erzähle, sollte jetzt aufhören zu lesen.

Von Daniel Fiene

Zunächst die gute Nachricht. Die Menschen wollen weiterhin hören, die Nachricht am Morgen spielt weiterhin eine wichtige Rolle, die persönliche Ansprache ist auch weiter wichtig und unsere Geschäftsmodelle funktionieren weiterhin: Der gute alte Werbeblock läuft in einem Audiostream genauso, wie in einer UKW-Ausstrahlung.

Die schlechte Nachricht: Wir konkurrieren nicht mehr mit den Nachbarsendern im eigenen UKW-Spektrum, sondern mit allen Medien. Auf dem TV-Screen mit der Bild-App. Auf dem Tablet mit Hulu, YouTube und der Tagesschau-App. Im Radio mit BBC Radio One, dem Radioprogramm der Zeitschrift Monocle und dem Piratensender der entlassenen griechischen Staatsfunk-Journalisten.

Für Radiosender heißt das:

1. Fokussiert euch! Definiert euch nicht nach eurem Frequenzbereich, wenn es in diesem kein Einheitsgefühl der Menschen gibt. Wenn ein Sender zwei Städte in einem Kreis bedienen muss, ist das oft schon ein Problem. Frequenzbereiche werden immer irrelevanter. Konzentriert euch auf ein Lebensgefühl. Lokalität, Fußball, Urbane Städter, Geeks, Familien auf dem Land die zur Arbeit in die Grossstadt fahren. Ihr werdet nicht nur Hörer im Frequenzbereich finden, sondern Hörer weltweit, die das Lebensgefühl teilen. Grenzt euch nicht von der Radiokonkurrenz, sondern von allen Medien ab.

2. Öffnet euch! Sendet euer Programm auf alle Plattformen die von den Hörern genutzt werden. Kleinvieh macht auch Mist (und wird heute auch schon in der Quotenzählung berücksichtigt). Öffnet euch auch den Kommunikationswünschen eurer Hörer, um nicht den Anschluss zu verlieren. Dieser Wandel ist beständig. Vor zehn Jahren war das Telefon die erste Wahl. Vor fünf Jahren die Mails ins Studio, heute die Nachricht über Facebook. Wenn Radiosender hier nicht reagieren, verlieren sie den Anschluss zum Hörer.

Für Radiomacher heißt das:

1. Werdet bessere Filter! Wir sind keine Gatekeeper mehr, wir sind Filter. Wir haben unseren Job gut gemacht, wenn die Leute sagen “Immer wenn ich XYZ höre, habe ich das Gefühl nichts verpasst zu haben, das Wichtige eingeordnet zu bekommen und dabei freundlich angesprochen worden zu sein.” Je unübersichtlicher die Informationsflut ist, desto wichtiger wird unsere Filter-Funktion. Wir geben dem Hörer ein Versprechen ihm zu sagen, was für ihn wichtig ist. Das gute daran ist: Die Verfügbarkeit aller Informationen macht unsere Arbeit immer überprüfbar.

2. Baut Beziehungen zu Menschen an Einschaltgerät und hinter den Themen auf! Beantwortet jede E-Mail, jeden Kommentar, jeden Anruf ernsthaft; organisiert eigene Veranstaltungen, bringt Akteure an einen Tisch. Die Mühe lohnt: Medien müssen ein Ort sein, an dem sich die Menschen ernstgenommen und wohlfühlen. Dann entscheiden sich Menschen mit einer exklusiven Geschichte eher zu uns zu kommen. Dann entscheiden sich die Menschen mit dem Smartphone in der Hand in dem harten Konkurrenzfeld für das eigene Medium.

Generell ist Radio ein Medium, welches Aufmerksamkeit verteilt. Tiefgreifende Analysen und filigrane Kommentare  gibt es weiterhin in der Wochenzeitung. Spektakuläre Bilder liefert das Fernsehen. Für Boulevard können sich die Menschen irgendwo ein digitales Plus-Abo holen. Wenn wir unseren Job gut machen, sprechen wir nicht nur das Lebensgefühl unserer Hörer an, sondern geben ihnen auch den Überblick, überall die wichtigen Themen, die derzeit passieren. Auch 2020 wollen die Menschen das nicht verpassen.

(Foto: Auch vor etwas mehr als 20 Jahren habe ich mir schon Gedanken über das Radio gemacht.)

Folgt den Tutzinger Radiotagen auf Twitter #tura13.

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