Ein Kommentar von Moritz Scheidl
“Mogelpackung”, “Quotenloch” und “Gehagel in der Todeszone” – die Kritik-Schlagzeilen von Gottschalk Live wurden in der letzten Zeit drastischer. Die Quote der ARD-Vorabendsendung verschlechterte sich, seit dem Sendestart am 23. Januar, Woche für Woche. Ein Ende dieser Talfahrt ist in Anbetracht näher rückender warmer Sommerabende, an denen Gottschalk weitere Zuschauer an die Badeseen und Grillplätze der Republik verlieren wird, nicht abzusehen. In den letzten drei Monaten entwickelte sich jedoch die Kritik am Format und am Moderator der Sendung hin zu einem monotonen Gottschalk-Bashing. Es ist chic sich über die Show-Legende lustig zu machen. Worüber sich indes noch niemand Gedanken gemacht hat: Vielleicht ist Gottschalk einfach zur falschen Zeit am falschen Ort?
Im Jahr 1971 heuerte ein damals 21-jähriger Radio-Freak beim Bayrischen Rundfunk an. Der junge Mann hatte sich in einem Casting durchgesetzt und bekam die einmalige Chance sich und sein Talent im neugegründeten Programm Bayern3 unter Beweis zu stellen. Nach ersten Erfolgen und ersten Konflikten im erz-konservativen Rundfunkhaus zog es ihn Anfang der 80er-Jahre nach Luxemburg zu RTL Radio. Hier moderierten die Radiopioniere Camillo Felgen und Frank Elstner. Es war nicht (nur) das Geld, welches ihn in die Villa Luvigny, in welcher die Studios von RTL beheimatet waren, lockte, sagte Thomas Gottschalk vor ein paar Jahren in einem Interview. Er hatte die Möglichkeit bei dem Sender zu arbeiten, den er als Jugendlicher unter der Bettdecke gehört hatte – Seite an Seite mit seinen Idolen. “Ich war ein absoluter Radio-Freak”, sagt Gottschalk heute über sich. 1983 ging er zurück zum BR um dort Programmchef zu werden. Zudem moderierte er fortan, gemeinsam mit Günther Jauch die B3-Radioshow. Seine Moderationen und seine Übergaben mit Jauch erreichten schnell Kult-Status. Gottschalk fesselte eine Generation ans Radio und das Radio fesselte ihn. Er drückte Bayern3 derart seinen Stempel auf, dass man dort heute noch vom Gottschalk-Glamour der damaligen Zeit zehrt. In einem Video-Interview mit Spiesser.de bringt Gottschalk seine damalige Radio-Zeit auf den Punkt: “Ohne das Fernsehen hätte ich leben können. Ohne das Radio nicht. Ich bin eine Radiofigur. Beim Radio hatte ich in meiner gesamten Karriere den größten Spaß.”
Der Radio-Freak bei der Arbeit. Thomas Gottschalk Ende der 70er im Bayern3-Studio (Quelle: ARD)
Parallel zum Radio startete Gottschalk seine Fernseh-Karriere. Was 1973 mit der Moderation der Abendschau im Bayrischen Fernsehen begann, fand am 26. September 1987 seinen Höhepunkt mit der Übernahme von “Wetten dass…?”. Die Radio-Legende wurde zur Fernseh-Legende. Er erreichte Marktanteile, die heute nur noch WM- oder EM-Endspiele erreichen und sicherte sich so einen Erste-Reihe-Platz in der deutschen Fernsehgeschichte.
Nach Samuel Kochs Unfall im Jahr 2010 war für Gottschalk schnell klar, dass dies das Ende seiner Zeit auf Deutschlands größtem Sofa sein sollte. Aber mit 61-Jahren in Rente gehen? Das schmeckte ihm nicht wirklich. Unmittelbar, nachdem er im Februar 2011 sein “Wetten dass…?”-Ende bekannt gegeben hatte, müssen die Angebote auf ihn nur so eingeprasselt sein. Unter anderem werden ihm vielleicht seine Freunde beim Bayrischen Rundfunk eine Rückkehr zur alten Wirkungsstätte Bayern3 angeboten haben. Dieses Projekt wird aber an der heutigen, modernen Technik gescheitert sein. Während Gottschalk in seiner Radio-Zeit zwei Plattenspieler, ein Mikrofon und ein analoges 5-Kanal-Mischpult zu bedienen hatte, wäre die Rückkehr in ein heutiges digitales Selbstfahrer-Studio undenkbar für ihn gewesen. Darüber hatte er sich unter andrem vor ein paar Jahren in der Bayern3-Sendung “Star&Hits” geäußert. Ihm sei die Technik heute zu kompliziert und zu aufgeblasen. Nun könnte man den Einwand bringen, dass Gottschalk sich einen Techniker nehmen könnte, der ihm die Sendung “fährt”, aber auch das wäre nicht Gottschalks Stil. Während in den 70er-Jahren alle Moderatoren mit einem Techniker ihre Sendung produzierten, schickte Gottschalk diese damals schon zum Kaffee trinken, um das Schiff alleine zu lenken – dies traut er sich heute anscheinend nicht mehr zu.
Dann mach ich meine Radioshow halt im Fernsehen
Im Juli 2011 wurde folgendes bekannt: Gottschalk geht zur ARD. Er macht dort vier Mal die Woche eine Live Sendung. Das ganze wird vor der Tagesschau ausgestrahlt. Facebook und Twitter werden in die Sendung integriert. C’est ça. Mehr wurde nicht bekannt gegeben. Und es scheint so, als wussten selbst die Verantwortlichen der ARD, wie auch Gottschalk, damals nicht mehr. In einer seiner letzten Wetten dass…?-Sendungen äußerte sich die Showlegende zur bevorstehenden Aufgabe in der ARD sinngemäß: “Das ist eine ordentliche Aufgabe die ich mir da vorgenommen habe – vier Mal die Woche eine halbe Stunde zu füllen.”
Es scheint nicht nur so zu sein, dass sich Gottschalk der bevorstehenden Aufgabe mit der Lockerheit eines Radiomachers näherte – er setzte sie auch so um. Auf der letzten Wetten dass…?-PK sagte er noch: “Ich habe meinen Beruf nie ernst genommen, weil ich ihn nicht ernst nehmen musste.” Doch diese Weisheit sollte ihm noch Probleme einbringen.
Nach dem Motto “Wird schon laufen” stellte man das konzeptlose “Gottschalk Live”-Konzept im Dezember auf einer Pressekonferenz vor und setzte dies einen Monat später in die Tat um. Gottschalk plauderte drauf los und wurde schnell von der fehlenden Disziplin, welche im Fernsehen noch wichtiger als im Radio ist, eingeholt. Die Premiere war ein Desaster, was Gottschalk unmittelbar vor seinem Kniefall wohl auch aufgefallen sein muss. Die folgenden Sendungen waren minimal besser, hatten dafür aber einen maximalen Quotenfall erlebt.
Schnell gab es Einwände, dass die Show so schlecht sei, da dem Showmaster das Publikum im Studio fehlen. Daraufhin baute man das Studio um. Etwa 100 Zuschauer finden seit dem im dritten Stock des Berliner Humboldt Careé Platz – geändert hat das an der Darbietung nicht viel. Gottschalk wendet sich seit dem entweder seinem Gast oder dem Publikum zu – die Kamera vergisst er oft. Dem Mann, der Hallen gefüllt hat, um von dort aus die größte Fernsehshow Europas zu moderieren, ist in diesem kleinem Studio das Fernseh-Machen-Gefühl abhanden gekommen. Der einstige Radio-Freak fühlt sich wie in einem Radiostudio mit Zuschauern. Und er macht Radio. Gottschalk ist nicht schlecht geworden. Er beherrscht sein Handwerk nach wie vor, wie wenige andere es können. Seine Übergänge und Sinnbilder, die er mit seinen Moderationen schafft, sind nach wie vor erste Liga. Aber seine Talks und seine Gesten sind zu sehr Radio. Hätte er ein Angebot seiner alten Freunde von Bayern3 angenommen – das Produkt wäre legendär. Nun tut sich Gottschalk schwer.
Er versucht seine Radio-Liebe im Fernsehen aufblühen zu lassen. Er ist zur falschen Zeit am falschen Ort.
Moritz Scheidl ist Moderator bei 95.5 Charivari in München.
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