Klaudia Wick über The Voice of Germany & Co.: Es geht nicht um den Gesang, sondern um die Tellerwäscherkarrieren

Auch wenn das neue Jahr uns Wiederholung der ewig gleichen Castingformate mit “Unser Star für Baku” oder “Deutschland sucht den Superstar” bescherte,  hat das deutsche Fernsehen weiter ein noch neues Lieblingskind: The Voice of Germany! Es wird geschwärmt: Zwar sei dies noch eine Castingshow – aber eine andere. Mit Qualität. Es soll um die Stimme gehen. Optik spielt erst mal keine Rolle. Die Kandidaten werden der Jury zunächst nicht gezeigt.  Ansonsten ist es schick zu behaupten, dass Castinggenre hat sich überholt. Aber: The Voice of Germany ist weder die Rettung des Casting-Genres, noch hat selbiges überlebt. Das sagte uns TV-Kritikerin Klaudia Wick in Was mit Medien 263. Es folgt eine Abschrift des Audio-Interviews.

Herr Pähler: Sie sagen, dass Sie The Voice of Germany mit tele-Vergnügen schauen. Warum das?
Klaudia Wick: Ich gucke gerne Fernsehen. Das ist mein Beruf, aber auch meine Neigung. Das ist nicht die erste Castingshow die wir uns angucken. Wir sind vielleicht auch ein bisschen DSDS-müde. Es ist immer schön, etwas Neues zu sehen. Mit hat dieser kleine Dreh ganz gut gefallen, dass die Kandidaten in der ersten Runde für die Coaches unsichtbar sind.

Daniel Fiene: Die Jubel-Meldungen in der Presse überschlagen sich. “Voice of Germany weiter ungeschlagen” ist zu lesen oder “The Voice of Germany hat das Casting-Genre neu belebt” – welche Mechanismen sind denn das, die diese Sendung bedient und die sie erfolgreich machen?

Klaudia Wick: Als Havy-User des Fernsehens freut man sich natürlich, dass etwas Neues kommt. Dann ist es so, dass die Show für Profis offen ist. Da treten keine Unbekannten auf. Das sind Background-Sänger, Menschen die sich in Metropolen durchschlagen, indem sie dort Musik machen. Das ist ein Wohltun für die Ohren. Von Anfang an kommen gute Songs raus. Die erste Phase des Castings —in der RTL häufig gute Quoten macht und in der Leute quietschen und man sich fragt, warum der jetzt zu Dieter Bohlen geht — das alles fällt weg. Ich glaube, dass die Presse froh ist, dass sie jetzt auch mal was vom ProSieben-Sat.1-Sender gut finden kann und dass das Fernsehen da noch einmal eine Belebung erfährt.  Sonst machen sich immer alle Sorgen, dass der Sender mit den Quoten in einem Dauertief ist.

Herr Pähler: Aber mal ehrlich: Am Ende singt dort eine —ich sag mal— adipöse Frau und je mehr die Show den Eindruck vermitteln will “Schaut her, wir achten nicht auf euer Aussehen”, desto häufiger sagen einige — am Ende des Tages bedient sich The Voice of Germany den gleichen Tricks wie doch jede andere Castingshow. …
Klaudia Wick: Sie müssen natürlich immer im Hinterkopf behalten, dass das alles ein Scheingefecht ist. Ich glaube, dass das die Zuschauer das auch tun, auch wenn sie es vielleicht nicht so verbalisieren können. Das Fernsehen ist eine andere Wirklichkeit, die sich von unserer sozialen Wirklichkeit und unserem Ehrlichkeitsbegriff unterscheidet. Es hat ja auch einen kleinen Miniskandal gegeben, dass ein Kandidat in der Show gesagt hat, er hätte keine Bühnenerfahrung. Hinterher hat sich herausgestellt, dass er in der gleichen Sendergruppe bei Popstars schon einmal mitgemacht hat. Da gibt es immer kleine Irritationen, was eigentlich die Wahrheit im Fernsehen ist. Die adipöse Frau ist natürlich auch daraufhin gecastet. Wenn ich eine Show mache, in der es nur um The Voice und nicht um The Optik geht, dann caste ich natürlich nur Leute, die in diese Phantasie reinpassen. Das gehört zu diesem Scheingefecht des Fernsehens dazu. Das war schon immer so. “Was bin ich?” hatte besondere Berufe gecastet, damit man hinterher sagt ‘ach guck’ mal an, so einen Beruf hat es auch schon mal gegeben’…
Daniel Fiene: Sie rauben uns gerade jegliche Illusion. 
Klaudia Wick: … Unterhaltung funktioniert zirzensisch. Das können Sie weit in der Geschichte nachvollziehen. Auch in den anderen Künsten geht es immer um Schein und Sein. Das Fernsehen hat nichts neu erfunden. Es gibt eine Debatte über Reality, die sich eher in den Dokumentarformaten abspielt. Dabei geht es um die Frage, wie weit man darin gehen darf, eine andere Wirklichkeit zu erzählen. In der Unterhaltung, in der es um eine große Bühnenshow geht, ist das anderes: Jeder der nicht ganz im Klammerbeutel gepudert ist, kann doch wissen, dass das eine Inszenierung ist. Dazu gehört die dicke Frau dann eben auch dazu.

Daniel Fiene: Was ich komisch finde; bislang hat die BILD-Zeitung nicht extrem viel zu VoG gemacht, langsam springt die Zeitung auf den Zug auf – es häufen sich sowieso die typischen Kandidaten Meldungen – mit pseudo-investigativem Inhalt – wie kommt diese Verspätete Beachtung?
Klaudia Wick: Es gibt ja eine traditionelle Zusammenarbeit zwischen Dieter Bohlen und der Bild-Zeitung.  Es gibt eine enge Verbindung zu RTL. Alles was RTL macht, wird stark gefeatured; was nicht heißt, dass man nicht auch mal auf die Skandaltrommel haut. Stefan Raab wird hingegen von der Bild-Zeitung geschnitten. Er sagt, er habe keine Lust mit der Bild-Zeitung zu kooperieren.  Deswegen gibt es da eine andere Tradition. Deswegen wundert es mich jetzt überhaupt nicht, dass die Springerpresse, die Sendung nicht zu einer Patenschaft erhoben hat. Dann kommt aber die zweite Runde und man kriegt mit, dass das keine Eintagsfliege gewesen ist, wir alle gucken interessiert drauf, die Quoten sind stabil, dann muss auch die berichtende Presse aufspringen.  Da gehört dann Klappern zum Handwerk.

Herr Pähler: Die Gattungsfrage, Frau Wick: Haben sich Casting-Shows nicht überlebt?
Ich glaube nicht, dass sich Castingshows überlebt haben und sie sich auch nicht so schnell überleben werden, da sie etwas ganz wesentliches bedienen, was auch Wetten dass..? immer scho bedient hat: Es gibt eine große Hallenshow, es gibt Musik, das ist jugendaffin, das interessiert die Leute. Nicht umsonst fängt jede Castingshow mit bekannten Liedern an, damit die Kids nicht ihre eigenen Lieder singen müssen, sondern wir die alle im Ohr haben. Und es gibt diese Tellerwäscher-Karrieren. Das sind die Dinge, die eine Rolle spielen. In meiner Jugend mußte man in den großen Preis gehen, um diese Tellerwäscherkarriere zu machen. Man mußte alles über Marilyn Monroe wissen und dann hat man eine für damals spektakuläre hohe Summe gewonnen und das Leben war anders. Heute singt man halt. Wir werden sicher noch eine paar neue Varianten dieser immer gleichen Geschichte hören. Das Genre ist aber nicht davon geprägt, dass jemand singen muß, sondern diese Tellerwäschekarriere macht. Das ist genuine Unterhaltung.

Daniel Fiene: Glauben Sie, dass Voice of Germany vielleicht auch Einfluss auf andere TV-Formate haben wird? Ein Zeichen, dass wir keine Lust mehr auf Trash mehr haben – aber auf gutes Fernsehen — oder ist das nur eine stille Hoffnung?
Das ist nur eine stille Hoffnung von einem bildungsbürgerlichem Ansatz. Das ist ja ein Tauschgeschäft im Fernsehen: Ich habe etwas freie Zeit und will vielleicht nicht ins Kino gehen, und möchte, dass mir diese freie Zeit möglichst leichtfüssig weggenommen wird. Das kann genauso gut Trash sein, dass ich mich darüber kaputt lache und dass jemand ausversehen vor dem Laternenpfahl rast. In diesem Moment wird auf Arte Louis de Funes mit Phantomas wiederholt. Wenn Sie sich im fiktionalen Bereich die ganzen Klassiker angucken, gab es schon immer trashige Formate, die ein großes Publikum hatten. Es gibt keine kupernikanische Wende durch The Voice of Germany. Das ist ein ganz typisches Format der zweiten oder dritten Runde. Man muß schon viel von Castingshows verstanden haben, damit man Vergnügen daran hat. Sie können in Tuvalu nicht mit The Voice of Germany anfangen. Das ist ein klassisches zweites Format. Darin ist es sehr gut. Nicht mehr und nicht weniger.

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