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Demokratische Öffentlichkeit im Netz – mit oder ohne Journalisten?

Am Nachmittag der Grimme-Tagung “Mehr E-Demokratie wagen” ging es um die Rolle der Journalisten. Hier gibt es den Mitschnitt zu der Podiumsdiskussion, die von Ulrike Langer moderiert wurde.

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Dauer: ca. 75 Minuten (MP3). (Hinweis: Im ersten Teil gibt es eine kurze Strecke, in der das Mikrofon nicht richtig genutzt wurde. Nicht wundern, es geht anschließend in besserer Qualität weiter.)

Programmbeschreibung: Wird journalistische Professionalität angesichts neuer, sich selbst organisierender Öffentlichkeiten überhaupt noch benötigt? Müssen Verlage, Medien-Organisationen und auch die Journalisten selbst neue Rollen einnehmen und sich für die Einbeziehung ihrer Rezipienten stärker und in anderen Formen öffnen? (Wie) verstehen sich Journalisten als mögliche Vermittler zwischen Politik und Bürgern? Können unabhängige Journalisten (z.B. Blogger) anders agieren und ganz bewusst Einfluss nehmen? Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang autonome Publikationsplattformen wie GuttenPlag oder Wikileaks? Ist es letztlich doch nicht nur ein begrenzter Personenkreis, der sich über solche offenen Plattformen artikuliert oder diese auch zur Kenntnis nimmt? Brauchen die Bürger mehr Medien- und Informationskompetenz, um über die Qualität und Bedeutung solcher offenen Angebote im Netz urteilen zu können?

Projekt-Präsentation (Kurz Vortrag):

David Schraven (WAZ Rechercheteam / “Wir machen das, was aufwendiger ist und mehr als einen Tag dauert”) stellt das WAZ Rechercheblog vor. Es ist wichtig, dass alle Kontaktmöglichkeiten angeboten werden. Deswegen gibt es auch das Upload-Portal, was er als weitere Kontaktmöglichkeit und nicht als Konkurrenz zu Wikileaks sieht. „Informanten haben in der Regel das Bedürfnis etwas mitzuteilen und suchen jemanden der ihnen zuhört.“ Schrawen erlebt keinen Vertrauensverlust in die Medien – “das Image eines Journalisten war schon immer miserabel.”  Der Datenjournalismus ist auch noch in einer Entwicklungsphase mit neuen Herausforderungen. Datenjournalisten müssen Datenbanken programmieren können und die auch auswerten. Es sollte auch Leute im Team geben, die Flash und HTML 5  können. „Das habe ich bei uns im Haus nicht gefunden”, so Schrawen. Guter Datenjournalismus besteht momentan aus der normalen Geschichte, die Datenquelle und eine visuelle Aufbereitung. Beispiel der Washington Post: Explore A Source of Crime Guns.  Frage: Wer macht am Ende den Schotter mit den Waffen, die für Verbrechen gebraucht werden. Es gibt Geschichten und Multimediabeiträge. Sein Fazit: „Wir Journalisten müssen die Leute sein, die diese neuen Dinge entwickeln.“

Podiumsdiskussion:

Kai Biermann (Zeit.de) berichtet vom Guardien und der Kiste mit den Unterlagen von den Abrechnungen der Mitglieder des Abgeordnetenhauses. Der Guardian konnte keine 400 Steuerberater beschäftigen. Also haben 400.000 Leser mit ihren Blicken geholfen. Daraus sind dann die Geschichten entstanden. Die Frage nach dem Vertrauen der Informanten: Hier spielt auch der Aspekt der Kompetenz eine Rolle, wie sie sich zum Beispiel Markus Beckedahl mit Netzpolitik.org erarbeitet hat. Nicht umsonst seien ihm viele Unterlagen zugespielt worden. Aufgabe von Journalismus Diskussionen zu bündeln? Journalisten können Meinung zur Verfügung stellen, transparent machen, wie sie zu dieser Meinung kommen. Journalisten können es einem Politiker nicht abnehmen, wie er zu seinen Wählern redet. Journalismus kann aber Diskurs vorleben. Es gilt für Journalisten weiterhin, dass man vor dem Schreiben mit beiden Seiten geredet haben soll. Auch wenn es heute viele Seiten gibt. Auch heute ist es der Versuch sich viele Seiten anzuschauen, eine Meinung aufzubauen und diese Haltung dann zu erklären. Biermann lobt die Enquete-Kommission, da er schon alleine die Einrichtung gut findet. Die Papiere aus den Arbeitsgruppen seien zudem sehr fundiert. Aber: Die klassischen Parteientscheidungsstrukturen seien natürlich die andere Seite.

Christiane Eilders (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf). Warum Informant sein? Die Motive liegen zwischen Geltungsbewußtsein und Wahrheitsliebe. Da die Verarbeitung der Informationen aber meist anonym geschieht, gibt es keine Gratifikation. Die Wahl des Mediums hat etwas mit Vertrauen in das Medium, aber auch nach deren Motive („Auf der Seite kleinen Leute?“) zu tun. Viele die das Vertrauen in die Massenmedien verloren haben, haben sich den Off-Medien zugewandt. Hat sich die Rolle vom Journalismus gewandelt? Journalisten sollten weiter die Bandbreite ihrer Kompetenzen ausschöpfen. “Das Zeug aus dem Netz muss verdichtet werden (…) Das Geräusch aus dem Netz muss systematisiert und entscheidungsfähig gemacht werden. Das Netz strukturiert sich nicht selbst, ohne dass da Menschen selbst eingreifen.” –  “Wir haben keinen Vertrauensverlust, aber einen Leserverlust – das ist das Problem!” Junge Leser vermissen im Journalismus eine Haltung. Was ist aber, wenn mehr Haltung praktiziert wird? Eilders macht sich keine Sorgen, dass nur die Rand-Extrem-Haltungen gespielt werden. Die Kommunikationswissenschaft zeige, je mehr Medien nutzen, dass sich die Diskussionen dann auch mehr auf die Mitte konzentrieren. Heißt: Die Gesellschaft würde die Mitte aus Angst vor der Langeweile also nicht ausklammern und nicht ausschließlich auf Extrem-Haltungen konzentrieren.

Alfons Pieper (“Wir in NRW“) – Die Geschichten sind ihm auf klassischem Wege zugespielt worden. 2009: “Ich hatte keine Ahnung von einem Blog. Wir hatten einen Technikfreak, der uns das aufgesetzt hat, und dann haben wir angefangen”. Professor Korte riet der WAZ das Blog “Wir in NRW” zu ignorieren. Sie sind aber relevant geworden, weil die anderen Medien über das Projekt berichteten. Pieper hat zwar viel gelernt und sehr viele Leserzuschriften bekommen, aber seine Grundeinstellung zum Journalismus hat sich nicht verändert. Risiko: Es gab keine Rechtsabteilung, aber riskante Geschichten. Vorteil: Ein Blog kann eine Zeitung oder einen Redakteur antreiben und vielleicht ein bisschen korrigieren. Er schätzt, dass sein Blog unabhängig ist.

Max Ruppert (TU Dortmund). Es gibt andere Interessen bei Leuten, die kollaborativ an einem Projekt wie GuttenPlag mitarbeiten, als bei Leuten, die Informationen einzeln übergeben wollen. Umfrage zum GuttenPlag-Wiki: 38 Jahre ist das Durchschnittsalter (Sonst bei Wikia: eher 18 – 20 Jahre; bei Wikipedia ist es höher); nur 18 Prozent Frauen. Jeder 5. hatte einen Doktortitel (Motivation war hier: Ich habe hart dafür gearbeitet und will dass das Doktortum nicht verwässert wird). 80 % Abi + Hochschulabschluss. 140 Leute haben den harten Kern ausgemacht, der Rest die diffuse Masse drumherum. “90 – 9 – 1”-Nielsen-Gesetz war auch hier zu finden. Politische Zuordnung: 1. Grüne,  2. SPD, 3. Piratenpartei – auf dem letzten Platz die FDP. Wie haben die Leute vom GuttenPlag erfahren? 60 Prozent sind über traditionelle Medienmarken darauf aufmerksam geworden. Nur 13 Prozent über Blogs, Twitter & Co. Traditionelle Medien stehen am Anfang und am Ende der politischen Wirkung. Neue Kompetenz für Journalisten: Moderation.

David Schraven (WAZ Rechercheteam). Das Internet unterscheidet sich nur unwesentlich vom Faxgerät – das ist für uns ein Instrument zur Kommunikation. Spiegel, Stern und Süddeutsche oder Bild – das sind die Marken, denen Informanten anonym ihre großen Geschichten geben. Medien können sich von Blogs anschauen, wie personifizierte Diskussionen gefühlt werden. Das zieht die Leute an. Gelesen wird heute viel mehr als je zuvor, nur halt weniger in Printform. Kulturpessimismus halte er für Fehlanzeige. Wir kennen den Datenjournalismus erst seit 3/4 Jahren und da müssen wir noch entwickeln. Jetzt müssen noch Experimente folgen, und dann kann eine neue Darstellungsform entstehen. “Da ist unheimlich viel Musik drin”.

Aus dem Publikum: Tim Bartel (Wikia) mit einer Anmerkung für recherchierende Journalisten: Die Leute sind erreichbar – es ist ein Unterschied zwischen Anonym und Pseudonym – die Leute sind erreichbar, wenn man sich Mühe gibt. So kann man im Chat mit ihnen reden.

Zu unserer Tagungszusammenfassung.

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