Gurken. Norddeutschland. Spanische Gurken. Tomaten. Lübeck. Spanische Tomaten. Hamburger Hafengeburtstag. HuS. Bakterien. Eine Mülltonne in Magdeburg. Forscher der Uni Münster. Klinik in Eppendorf. Blutiger Durchfall. Skandal. Hysterie und Remmidemmi.
Seit einigen Tagen lässt uns die gefährliche Variante der Ehec-Bakterien nicht mehr los. Zwei Jahre nach der Schweinegrippe wird die nächste infizierte Sau durch das deutsche Mediendorf getrieben.
Reagieren die Medien über? Immerhin sind nur wenige hundert Deutsche richtig schwer erkrankt. Und vor allem: Wie können wir als Journalisten verantwortungsvoll mit dem Thema EHEC umgehen? Darüber haben wir in Was mit Medien 252 mit Professor Holger Wormer gesprochen. Er beschäftigt sich mit Wissenschaftsjournalismus an der TU Dortmund und betreut auch die Webseite medien-doktor.de. Hier ist eine leicht geglättete Abschrift des Gesprächs.
Daniel Fiene: Herr Pähler und ich möchten Sie auf eine kleine Tour nach Hamburg einladen – bei unserem Lieblingsspanier gibt es gerade ein leckeres Salatbuffet. Kommen Sie mit?
Professor Wormer: Na klar komme ich mit. Ich würde mir aber in der Tat, gerade in Hamburg, im Moment immer noch überlegen – auch wenn die Raten rückläufig sind – ob ich den jetzt unbedingt essen muss – gerade wenn ich das Lokal noch nicht kenne, wobei Sie sicherlich in tolle Lokale gehen.
Herr Pähler: Wenn wir uns die EHEC-Berichterstattung in Presse, Funk, Netz und Fernsehen ansehen, dann hat Otto-Normalkonsument das Gefühl, gar nichts mehr konsumieren zu dürfen – reagieren die Medien da gerade über?
Professor Wormer: Ich glaube, sie reagieren nicht über. Jedenfalls ist es immer schwierig zu sagen „die Medien“. Natürlich gibt es immer einzelne Medien, die über das Ziel hinausschießen. Ich musste übrigens gerade vor einer Woche, glaube ich, in Hamburg sehr lachen. Da war da von den „Killergurken“ die Rede. Das erinnerte mich an einen Trashfilm aus den Achtzigern, den „Angriff der Killertomaten“. Da ist ganz klar, dass da sicherlich einzelne Medien auch immer wieder in den Schlagzeilen über das Ziel hinausschießen. Immerhin sagt das Robert-Koch-Institut (RKI) aber auch, dass es sich um einen der weltweit größten bislang beschriebenen Ausbrüche von EHEC handelt, bzw. des damit verbundenen Syndroms, in dem Fall HuS – und es sei der bisher größte Ausbruch in Deutschland. Vor dem Hintergrund darf man da schon drüber berichten. Man stelle sich das einmal andersherum vor. Da gibt eine obere Seuchenbehörde oder ein Ministerium eine offizielle Warnung heraus, und sagt „Bitte, seid mal vorsichtig mit den Gurken“, oder was auch immer. Man stelle sich mal vor, die Medien würden gar nicht darüber berichten. Dann würde man ihnen vermutlich vorwerfen, sie würden zensieren, oder wichtige Informationen zurückhalten – die immerhin im Einzelfall tatsächlich von gesundheitlicher Bedeutung sind. Also, man muss es mal umdrehen: Was ist denn die Alternative, wenn man nicht darüber berichtet, wenn solche offiziellen Warnungen vorliegen?
Wenn Experten warnen: Die Gefahr der Abnutzungen
Daniel Fiene: Ich sehe schon – wir als Medien können es nur falsch machen. Aber jetzt vielleicht einmal ernsthaft: Wir können ja vielleicht zwei Aspekte aus Ihrer Antwort noch einmal näher beleuchten. Einmal die Häufigkeit der Krankheit tatsächlich, das lohnt es sich bestimmt noch einmal einzuordnen. Aber vielleicht erst einmal das: Sie schreiben in Ihrem Blog auf medien-doktor.de, dass – positiv betrachtet – eine Bild-Titelseite, die vor Horror-Keimen warnt, sogar Leben retten kann. Aber sind die Leute es nicht irgendwann leid, dass wir bald alle Lebensmittel durchhaben, die wir irgendwie nicht essen können?
Professor Wormer: Natürlich. Das Problem ist immer: Wenn man eine Warnung an die andere reiht, dann gibt es dazu ja den Satz im Volksmund: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“ – obwohl er vielleicht nicht einmal wissentlich lügt, aber zumindest nicht die objektive Wahrheit sagt. Es besteht natürlich immer die Gefahr, dass sich das abnutzt, wenn man ständig vor irgendwelchen Bedrohungen warnt. Aber, wie gesagt, war die Entwicklung schon so, dass Seuchenmediziner zunächst einmal ein Stück weit beunruhigt waren. Jetzt ist es natürlich ein Unterschied, ob Seuchenmediziner beunruhigt sind – die dafür zuständig sind, so eine Erkrankung auch einzudämmen, und dafür zu sorgen, dass möglichst wenige Menschen erkranken – und wie daraufhin die individuellen Entscheidungen aussehen. Sie haben vorhin das Beispiel mit dem Salat gebracht: Das ist dann eine individuelle Entscheidung, ob man sagt „Ich ess’ jetzt ‘nen Salat“, oder nicht – ganz genauso, wie man sonst auch individuelle Risiken abwägt. Es gibt Leute, die rauchen ganz munter, und es gibt Leute, die verlassen den Raum, wenn sich jemand eine Zigarette anzündet. Insofern sind die Schlussfolgerungen, die man aus dem Umgang mit diesen Risiken zieht, individuell unterschiedlich – zum Beispiel bei der Frage „Ess’ ich jetzt ‘nen Salat oder nicht?“, oder „Gebe ich meinen Kindern Salat oder nicht?“. Das ist anders als eine Behörde, die sagt „Hier müssen wir ein bisschen aufpassen.“
Wenn sich “Horror” und “Killer” abnutzen
Herr Pähler: Jetzt haben Sie ja gerade schon die Seuchenmediziner angesprochen, die aus ihrer wissenschaftlichen Perspektive wohl auch zurecht warnen vor der Krankheit. Doch, absolut betrachtet, sind ja tatsächlich nicht so viele Menschen wirklich schwer erkrankt. Hätten da die Medien nicht doch besonnener reagieren müssen und nicht so einen – ich sage jetzt mal – medialen Aufstand betreiben sollen?
Professor Wormer: Naja, noch einmal: Wenn eine Behörde wie das Robert-Koch-Institut eine offizielle Warnung ausspricht – sei es gegen Gurken aus bestimmten Ländern, seien es Tomaten, oder seien es zuletzt Sprossen – dann, finde ich, besteht zunächst einmal Berichterstattungspflicht für die Medien. Dann können sie natürlich angemessen darüber berichten, und vielleicht mit solchen Wörtern wie „Killer-“ und „Horror-“ usw. etwas besonnener umgehen. Andererseits: Mein Gott, in den Boulevardmedien wird heute auch ein Promi mit Schnupfen schon zum „Horrorauftritt von soundso“. Diese Begriffe nutzen sich auch ein bisschen ab. Aber generell gehören in eine Gesundheitsberichterstattung Wörter wie „Horror“, im negativen Sinne, und „Durchbruch“, im positiven Sinne, aus meiner Sicht eigentlich gar nicht hinein.
Aber das ist das eine. Die Medien müssen darüber berichten, und dann können sie natürlich auch andere Aspekte thematisieren: Zum Beispiel ist ja bei der Frage der Berichterstattung nicht nur interessant, wie groß jetzt das tatsächliche medizinische oder statistische Risiko ist, sondern eben auch, wie zum Beispiel Behörden damit umgehen. Da kann man natürlich schon an der ein oder anderen Stelle die Frage stellen – und das wurde auch gemacht –, ob wir denn besonders gut vorbereitet sind bei Infektionskrankheiten in Deutschlands Föderalismussystem, wenn selbst bei den Behörden so viele Menschen mitzureden haben, was die „offizielle Linie“ ist. Insofern kann dann ein Medium kritisch einordnen.
Gute Beispiele gibt es auch
Im Übrigen haben Sie den Mediendoktor angesprochen: Wir haben jetzt – nicht weil wir das zu einem besonderen Thema machen wollten, sondern weil es einfach ganz normal in dieser routinemäßigen statistischen Auswahl war – diese Woche zwei Beiträge bewertet, in denen es um die Therapie gegen EHEC ging. Das waren zufällig Artikel aus der „ZEIT“ und aus dem „SPIEGEL“. Und diese Beiträge gehörten ehrlich gesagt mit zu dem Besten, was wir bisher in den vergangenen Monaten gesehen haben.
Daniel Fiene: Das heißt, in den Medien gibt es auf der anderen Seite, wenn man es differenziert betrachtet, auch genügende Berichterstattung, die auch gut erklärt und einordnet?
Professor Wormer: Ich denke schon. Ich bin immer sehr vorsichtig bei der Aussage „die Medien“, denn natürlich hat da zum Beispiel das Fernsehen sowieso eine ganz andere Rolle als etwa die Printmedien. Man muss sich das Mediengenre anschauen, man muss gucken, was macht ein Boulevardmedium, und man muss es aus meiner Sicht dann – wie ich vorhin schon angedeutet habe – ein bisschen in eine Relation setzen zu dem, was ein Boulevardmedium sonst auch macht. Wenn jemand bei „Wetten, dass..?“ ein falsches Zitat abgegeben hat, dann ist das ja auch schon irgendwie ein Skandal. In diesen Rahmen muss man das einordnen.
Auf die Einordnung kommt es an
Insofern würde ich gerade jetzt bei EHEC sagen: Natürlich ist das beunruhigend für viele, und natürlich haben jetzt viele den Eindruck, dass man es nicht so genau weiß, und dass man nicht weiß, was man denn tun soll. Doch das ist zum einen natürlich dem Sachverhalt geschuldet – denn man weiß nun mal bestimmte Dinge tatsächlich nicht – und dann wird diese Unsicherheit natürlich transportiert – zum Teil von den Medizinern, zum Teil dann von den Medien. Das kann man denen aber jeweils nicht zum Vorwurf machen. Was die Medien natürlich vielleicht immer noch ein bisschen stärker tun könnten, wäre, es dann in eine Relation zu setzen – also, dass es immerhin noch sehr kleine Zahlen sind, und das dann nach den jüngsten RKI-Zahlen vorwiegend sowieso regional begrenzt. In Nordrhein-Westfalen sind das glaube ich einhundert Fälle, und in Hamburg einhundertfünfzig. Das ist bei dieser schweren Form der Erkrankung immer noch im Rahmen, und das könnten und sollten Medien einordnen.
Also, zunächst einmal sind die Medien die Überbringer der schlechten Nachricht, und man kann sie dann zwar für das „wie“ manchmal köpfen – also wie sie es transportieren – aber nicht für den Sachverhalt selbst, wenn der komplex und schwierig und vielleicht auch bedrohlich ist.
Nochmal: In Relation setzen und einordnen!
Daniel Fiene: Naja, geköpft bleibt aber doch geköpft. Aber, Herr Professor Wormer, bitte verschreiben Sie uns Journalisten zum Schluss doch bitte noch ein Rezept, wie wir keine Anzeichen der Über-Hysterie in Sachen Ehec entwickeln. Außer ausgewogener Ernährung und genügend Schlaf – was empfehlen Sie noch?
Professor Wormer: Ich würde sagen: immer einordnen. Ich denke, es hilft schon einzuordnen im Vergleich zu anderen Risiken – also, dass es eben kleine Zahlen sind, und dass man so den Leuten auch eine bestimmte Option offen lässt. In Zeiten der Schweinegrippe bin ich zum Beispiel in meinem familiären Umfeld bis hin zur KiTa usw. immer gefragt worden „Soll ich mich denn jetzt impfen lassen oder nicht?“ Und ich habe die Leute immer gefragt „Lasst ihr euch gegen saisonale Grippe impfen?“ Wenn die Leute gesagt haben „Ja, mache ich immer“, dann habe ich ihnen gesagt „Gut, dann lasst euch auch gegen die Schweinegrippe impfen, denn dann entspricht das eurem sonstigen Risikoverhalten.“ Und umgekehrt, wenn einer sagte „Nee, da hab’ ich mich noch nie drum gekümmert, das ist mir nicht so wichtig“, dann habe ich auch gesagt „Naja, dann würde ich in dem Fall jetzt auch nicht zur Impfung raten.“ Um es auf den Punkt zu bringen: Die Medien tun immer gut daran, es ein bisschen in Relation zu setzen – zu anderen Zahlen und zu anderen Risiken. Aber grundsätzlich denke ich schon, dass sie über solche Sachen auch berichten müssen, denn das gehört nun einmal zu ihren zentralen Aufgaben.
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Das Interview hat Henning Bulka transkribiert. Das Foto stammt von Christian Heindel (via Flickr).
Im Blog medien-doktor.de gibt es auch ein Crossposting von diesem Interview.