Thomas Koch
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Thomas Koch: Wie Werbung freie Medien im Irak wirklich unabhängig machen soll

Thomas Koch

Seit 2003 ist die Ära Saddam Hussein im Irak beendet. Seit dem steht das Land vor der schweren Aufgabe sich neu zu erfinden.  Das betrifft auch die Medien! Die sind aber weiter fest in der Hand des Staates. Die meisten Zeitungen, Radio- und TV-Sender werden parteipolitisch oder durch den Staat kontrolliert. Hinzu kommt: Die Regierung ist mit 60 Prozent größter Werbekunde. Für die noch jungen, freien und unabhängigen Medien ist das ein schweres Umfeld. Da will jetzt der Deutsche Thomas Koch aushelfen. Er hat die Agentur Plural Media Services gegründet, um zwischen den freien Medien und der Wirtschaft zu vermitteln. Wir haben mit dem Mediaexperten über die Lage im Irak in Was mit Medien 250 gesprochen. Hier ist die (leicht geglättete) Abschrift des Gesprächs:

Daniel Fiene: Herr Koch, Sie waren selbst im Irak und haben sich einen Überblick über die Medienlandschaft verschafft. Wenn der Staat 60 Prozent der Werbung bucht – was ist denn das für Werbung? Das kann ich mir ja gar nicht vorstellen …

Thomas Koch: Was wir Regierung oder Regime nennen, sind eigentlich Parteien. Es gibt ein Parteiensystem, das besteht aus einer regierenden Partei und einer Oppositions-Partei. Die schalten Ankündigungsanzeigen, zum Beispiel für Versammlungen. Davon sind die Zeitungen voll.

Daniel Fiene: Es wird also weder das Arbeitsamt noch eine Gesundheitsvorsorge von der Regierung beworben? Das ist also richtige Parteipolitik, die in den Anzeigen stattfindet?

Thomas Koch: Das ist pure Parteipolitik, die da stattfindet. Schöne Werbung für Arbeitsämter gibt es da noch nicht.

Daniel Fiene: Wie teuer ist denn Werbung im Irak? Sagen wir, Herr Pähler und ich möchten eine Anzeige schalten. Wie teuer ist das, im Vergleich zu den Preisen hier in Deutschland?

Thomas Koch: Gemessen an den Auflagen ist die Werbung erheblich billiger. Da ist man für eine Viertelseite schon mit 500 Euro dabei. Teurer ist das nicht.

Herr Pähler: Reden wir über die allgemeine Mediensituation im Irak. Wir haben es eben angedeutet: Die unabhängigen Medien haben es nicht leicht. Wie stark oder wie schwach sind diese freien Medien?

Thomas Koch: Das sind sehr zarte Pflänzchen. Man muss sich vorstellen: Da versucht jemand eine Wochenzeitung herauszubringen, in einer Auflage von 2.000 bis 3.000 Exemplaren, hat pro Woche nur eine einzige Anzeige und muss davon, seine Zeitung finanzieren. Diese Anzeige ist dann eine Anzeige von Austrian Airlines, weil die parteipolitischen Anzeigen einen riesen Bogen um die freie Presse machen.

Herr Pähler: Jetzt könnte man sagen, der Zeitungsmacher könnte das Geld mit dem Copy-Preis verdienen…

Thomas Koch: Das ist überhaupt “kein Problem” im Irak. Eine Zeitung im Irak kostet fast so viel wie hier – etwa 80 Cent. Jetzt rechnen wir mal hoch: 80 Cent x 2.000 Exemplare. Davon kann man noch nicht einmal Gehälter bezahlen. Die Vertriebserlöse, wie wir diese ja hier nennen, sind äußerst gering und beschränkt. Diese Medien können nur existieren, wenn Werbeeinnahmen hinzu kommen.

Daniel Fiene: Was sind das noch für Probleme, mit denen sich die Journalisten in ihrem Alltag rumschlagen müssen?

Thomas Koch: Repressalien, wie man sie in einem solchen Land erwarten würde, die einem aber trotzdem überraschen. Wir haben den Herausgeber einer Zeitung in Sulaimaniyya besucht, also dort, wo Karl May stattfindet. Kurz bevor wir kamen, bekam er Nachricht, dass sein Bruder verhaftet worden ist. Sein Bruder ist Aktivist, arbeitet also nicht bei der Zeitung. Während wir beim Herausgeber waren, kam ein Anruf vom Premierminister, mit der schlichten Aufforderung: Wenn er aufhört mit seiner Zeitung über die Protestbewegung in Sulaimaniyya zu berichten, dann würde sein Bruder sofort freigelassen werden. Das sind Dinge, die können wir uns überhaupt nicht vorstellen. Übrigens: Er hat Nein gesagt.

Daniel Fiene: Wie sieht die Medienlandschaft denn tatsächlich aus? Sind die unabhängigen Medien nur politische Publikationen oder gibt es auch genauso viel im Unterhaltungsbereich?

Thomas Koch: Der Kiosk findet auf den Märkten statt. In jeder Stadt gibt es einen Markt und dort liegen die Zeitungen auf der Erde. Das ist eine sehr überschaubare Auswahl. Die unabhängige Presse ist nachrichtenlastig und berichtet überwiegend über innländische Themen. Die Parteiorgane sind dick, bunt,  sehr unterhaltsam und wenig informativ. Man kann die beiden Medienarten sehr schön voneinander unterscheiden.

Daniel Fiene: Letztere sind vor allem kostenlos …

Thomas Koch: … das ist der Trick. Und die erscheinen täglich, während die meisten unabhängigen Zeitungen es nur schaffen, wöchentlich herauszukommen.

Herr Pähler: Jetzt ist ihr Anliegen, den freien Medien zu helfen, wo genau brauchen die Medien denn Unterstützung? Da ist es mit der Buchung von Werbung wahrscheinlich nicht getan.

Thomas Koch: Das ist weiterhin journalistische Ausbildung und es ist betriebswirtschaftliche Hilfe. Die Medien brauchen Druckereien. Das Land entwickelt sich gerade erst. Dann ist es ganz eindeutig Hilfe bei der Aquise von Anzeigen. Es gibt erste Werbungtreibende im Land. Zum Beispiel eine pharmazeutische Fabrik, die Kopfschmerztabletten herstellt. Diese modernste pharmazeutische Fabrik ist gerade erst eröffnet worden. Die ist sehr imposant; und das mitten im Dreck in Kurdistan. Die werben nun für ihre Kopfschmerztabletten. Wir haben den Auftrag bekommen, Radiowerbung zu machen. Das sind erste Anfänge. Die Telekommunikationsunternehmen sind da; überwiegend kurdische und asiatische. Vodafone findet man dort nicht. Der Markt ist auch schon zu, da braucht Vodafone auch nicht mehr aufzutreten. Die Automobilkonzerne steigen jetzt auch groß in den Markt ein. Dazu zählen Mercedes, Audi, Volkswagen. Die sind alle da.

Herr Pähler: Wie ist in dieser Konstellation die Rolle Ihrer Mediaagentur?

Thomas Koch: Wir wollen Transparenz liefern. Wir wollen den Werbungtreibenden zeigen, welche Medien es gibt, welche Couleur sie haben, wie unabhängig sie sind. Bei ersten Leseuntersuchungen machen wir die interessante Erfahrung, dass die geringe Auflage, die die unabhängige Presse hat, dennoch zu mehr Lesern führt, weil sie natürlich durch unglaublich viele Hände geht. Was wir dem Werbungtreibenden nicht erklären müssen, ist, dass die unabhängige Presse von anderen Leuten gelesen wird. Und zwar von denen, die das Land aufbauen werden. Und nicht von den alten Kräften.

Herr Pähler: Kann man sagen, dass Sie im eigentlichen Sinne keine Mediaagentur haben, sondern viel mehr eine Lobby-Institution zu Gusten der unabhängigen Medien?

Thomas Koch: Das dürfen wir auch nicht so ganz sein. Wir müssen unabhängig sein, sonst nimmt man uns die Beratung nicht ab. Der Witz ist: Wenn wir unabhängig sind und Transparenz liefern, dann werden wir automatisch die unabhängige Presse unterstützten. Da kommen wir gar nicht drum herum.

Daniel Fiene: Oder ist es vielleicht sogar eher so, dass die größere Dienstleistung bei deutschen Unternehmen liegt, die gar nicht genau wissen, mit wem sie ihre Geschäfte im Irak machen sollen…

Thomas Koch: Das ist kein Zufall, dass wir aus Deutschland heraus arbeiten. Die meisten Unternehmen die jetzt im Irak auftreten kommen aus der Türkei. Dann kommen schon die deutschen Unternehmen und erst dann die Amerikaner. Wir sind nunmal das Exportland Nummer 1. Für unsere Exportwirtschaft, das sind ja nicht nur Automobile, eröffnet sich ein völlig neuer Markt.

Daniel Fiene: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich im Irak zu engagieren? Wenn ich von mir ausgehen kann, das wäre nicht meine erste Idee.

Thomas Koch: Das macht man bestimmt erst dann, wenn man schon ein bestimmtes Berufsleben hinter sich hat und jemand auf die Idee kommt, mich zu fragen. Man hat erst einen Werber in Berlin gefragt. Da gab es zufällige Kontakte, ob er helfen könnte. Seine Antwort war Nein – das könne er überhaupt nicht. Da fehlen ihm die Kontakte in die deutsche Wirtschaft hinein, sowie die Medienexpertise, da sollten sie doch mal den Thomas Koch fragen. Der macht so etwas bestimmt. Ich habe sofort Ja gesagt.

Herr Pähler: Wer hat denn überhaupt gefragt?

Thomas Koch: Gefragt hat Klaas Glenewinkel, der die mict leitet. Das ist eine Non-Government-Organisation, die mit Geldern vom Auswertigen Amt, der Uneso und diversen Regierungen journalistische Projekte fördert.

Herr Pähler: Vielleicht zum Schluss die obligatorische, aber dennoch, wie ich finde, ziemlich wichtige Frage, wie mit dem Blick in die Zukunft: Wie wird es im Irak weitergehen? Wann werden wir ein Mediensystem haben, bei dem man ansatzweise von einem ausgeglichenen Machtverhältnis zwischen freien und nichtfreien Medien sprechen kann? Ist das überhaupt eine Utopie?

Thomas Koch: Das ist keine Utopie! Das wird auch kommen. Die Frage, wie lange das dauern könnte, ist sehr gut. Wenn ausländische Werbungtreibende in das Land strömen, ausgestattet mit ihren Werbedollar, dann kann das unglaublich schnell gehen. Die freie Presse existiert bereits, sie braucht nur wirtschaftliche Unabhängigkeit. In dem Augenblick, wo andere sehen, dass man in Kurdistan, im Irak eine Zeitung herausbringen kann oder dass man einen Radiosender betreiben kann, der Chancen zum Überleben hat, dann wird es ganz schnell Nachahmer geben. Die parteipolitische Presse wird dann automatisch in den Hintergrund gedrängt.

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