Es vergeht gerade kein Tag, an dem es keine Schlagzeile um die Internetplattform Wikileaks gibt. Zurzeit aber nicht wegen neuer spektakulärer Veröffentlichungen, sondern es geht um das Projekt selbst: Sympathisanten legen wichtige Finanzwebseiten lahm, weil diese Wikileaks nicht mehr unterstützen wollen, der Mitgründer Julian Assange ist wegen Missbrauchsvorwürfen verhaftet worden und zu all dem Überfluss ist die Webseite wegen technischer Probleme kaum noch unter den bekannten Internetadressen erreichbar. Jetzt soll Wikileaks zudem Konkurrenz bekommen: OpenLeaks soll gestartet werden – betrieben ausgerechnet von Ex-Wikileaks-Mitarbeitern. Sie wollen das besser machen, wo Wikileaks ihrer Meinung nach versagt hat. Wir haben für das WDR 5 Morgenecho OpenLeaks vorgestellt. Hier ist das Skript zum Beitrag.
OpenLeaks soll anders als Wikileaks werden – das Ziel aber, das bleibt gleich: OpenLeaks soll den Austausch von geheimen Dokumenten ermöglichen, um Transparenz zu schaffen. Allerdings will OpenLeaks die eingeschickten Dokumente nicht selber sichten, gewichten und veröffentlichen, sondern die Funktion eines anonymen elektronischen Briefkastens übernehmen: Wer brisante Dokumente einwirft, soll selbst bestimmen können, wer diese erhält. OpenLeaks stellt sicher, dass der Absender anonym bleibt – ein spannender Ansatz, sagt Markus Beckedahl von Netzpolitik.org. Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Informationsfreiheit. Viele wüssten gar nicht, wie man im Internet Dokumente verschickt, ohne Spuren zu hinterlassen.
Markus Beckedahl: „Insofern bietet eine solche Infrastruktur eine Möglichkeit, dass ein Geheimnisverräter auf sicherem Wege, unkontrolliert an Medien und interessierte Öffentlichkeiten herantreten kann und Dokumente überspielen kann.“
Hinter OpenLeaks steckt eine Gruppe um Daniel Domscheit-Berg. Dieser war in den letzten Jahren als Daniel Schmidt und in seiner Rolle als Wikileaks-Sprecher bekannt. Interne Streitigkeiten bewogen ihn jetzt ein eigenes Projekt zu planen. Spätestens seit der Veröffentlichung der Irak-Krieg-Dokumente wurde der öffentliche Druck auf Wikileaks so groß, dass interne Strukturen den nicht abfangen konnten. Professionalität fehlte an allen Ecken und Enden, so Domscheit-Berg im Netzpolitik-Podcast.
Daniel Domscheit-Berg: „Ob das Entscheidungsstrukturen sind, ob das Verantwortungsstrukturen sind, ob es überhaupt eine klare Definition ist, wer welche Entscheidung treffen kann … das sind alles diese Dinge: Wenn man das gehabt hätte, würde das Projekt heute aus meiner Sicht wesentlich stabiler stehen. Man hat aber den Fokus nicht darauf legen wollen, sondern lieber auf öffentlichkeitswirksame Publikationen. Das ist dann vielleicht strategisch falsch gewesen.“
Für öffentlichkeitswirksame Auftritte ist der Wikileaks-Mitgründer Julian Assange bekannt. Er stellt sich gerne als Kämpfer für die Informationsfreiheit hin. Wird er aber auf die internen Probleme bei Wikileaks angesprochen, gibt er sich sehr verschlossen, wie hier in einem Interview mit CNN.
Reporterin: Es gab interne Verwerfungen bei Wikileaks. Einige Freiwillige haben das Projekt verlassen …
Assange: Was sind denn Ihre Quellen?
Reporterin: Von ehemaligen Mitarbeitern …
Assange: Haben Sie mit denen gesprochen?
Reporterin: Ja.
Als die Reporterin Assange auch noch zu seinen Mißbrauchsvorwürfen befragte, brach er das Interview ab. Geht es nach den Machern von Openleaks sollen sich solche Szenen rund um deren Plattform nicht wiederholen. Ordentliche Strukturen und eine dezentrale Organisation soll hierfür sorgen. Aber hat Openleaks neben der starken Marke Wikileaks überhaupt eine Chance wahrgenommen zu werden?
Daniel Domscheidt-Berg: „Auf der einen Seite ist die Marke extrem stark, auf der anderen Seite wird sie seit geraumer Zeit extrem kritisch beäugt. Ich denke das ist ein zweischneidiges Schwert. Vom positiven Feedback, welches ich gerade bekommen, habe ich den Eindruck, dass viele Leute verstehen, was mit der Marke nicht so ganz in Ordnung ist, oder wo da Optimierungsbedarf bestünde.“
Openleaks wird auf mehreren Servern in mehreren Ländern aufgebaut. Exklusive Medienpartnerschaften, wie sie Wikileaks pflegt, soll es nicht geben. Stattdessen sollen Organisationen jeglicher Art Openleaks als Dienstleister nutzen können. Laut Markus Beckedahl ergeben sich durch Openleaks ganz neue Möglichkeiten.
Markus Beckedahl: „Natürlich können das auch Behörden oder große Unternehmen einsetzen, um ihren eigenen Mitarbeitern eine Möglichkeit zu geben, in einem sicheren Briefkasten unter Schutz der eigenen Identität auf Missstände hinzuweisen. Das kann bei Korruptionsvorfällen helfen, das kann aber auch bei Mobbingfällen helfen, Probleme zu lösen.“
Ob sich die Idee von Openleaks gegen Wikileaks durchsetzt, das läßt sich noch nicht sagen: Am Ende entscheidet, wieviele den anonymen Briefkasten von Openleaks nutzen werden. Markus Beckedahl sieht auf jeden Fall einen steigenden Bedarf.
Markus Beckedahl: „Ich finde es gut, dass es verschiedene Betreibermodelle für die selbe Idee gibt. Die Idee ist halt einen sicheren Hafen zu schaffen, der Sicherheit bietet, vor zum Beispiel die Anwaltskanzleien, die im Namen ihrer Auftraggeber Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit zu unterdrücken, die kritische Berichterstattung unterdrücken wollen. Diese Dokumente könnten über OpenLeaks oder andere Plattformen vielleicht schneller das Licht der Öffentlichkeit erblicken.“
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Dieser Beitrag lief am 16. Dezember 2010 im WDR 5 Morgenecho. Hier geht es zur Sendungsseite. Das WDR 5 Morgenecho ist werktags von 06:00 – 08:55 Uhr zu hören. Links: Sender– Sendungsseite – Frequenzen– Livestream.
Foto: Flickr/Torley
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