Wikileaks hat mit der Veröffentlichung von Geheimdokumenten der US-Einsätze im Irak und in Afghanistan die Politik und die traditionellen Medien aufgemischt. Es gab harsche Kritik und Lobeshymnen für die Arbeit des Gründers Julian Assange. Doch jetzt droht dem ganzen Projekt Gefahr: Gegen Assange gibt es seit Donnerstag einen Haftbefehl, nicht wegen der Veröffentlichung von Dokumenten, sondern wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung. Dieser Haftbefehl und der interne Streit bei Wikileaks haben die Organisation an den Rand der Handlungsfähigkeit gebracht. Daniel Fiene fragt: Ist Wikileaks am Ende?
Es ist nicht das erste Mal, dass Wikileaks durch interne Querelen auffällt. Doch die Ereignisse aus dieser Woche können zur härtesten Zerreißprobe für die Internetseite werden – auch wenn, oder gerade weil es um das Privatleben des Gründers Julian Assange geht. Dieser wird mit einem internationalen Haftbefehl gesucht, da ihn die schwedische Staatsanwaltschaft verhören möchte. Der Vorwurf: Vergewaltigung, sexuelle Belästigung und Nötigung zweier Frauen. Das Problem: Diese Vorwürfe lenken das Öffentliche-Interesse von Wikileaks weg, hin auf das Privatleben von Assange. Auch intern wird bei Wikileaks die Frage gestellt: Ist er noch tragbar? Auf sein Privatleben angesprochen, kanzelt Assange ab – wie hier in einem CNN-Interview von vor einem Monat.
Reporterin: “Es gab interne Verwerfungen bei Wikileaks. Einige Freiwillige haben das Projekt verlassen …”
Assange: “Was sind denn Ihre Quellen?”
Reporterin: “Von ehemaligen Mitarbeitern …”
Assange: “Haben Sie mit denen gesprochen?”
Reporterin: “Ja.”
Bemerkenswert ist, dass Assange die Reporterin auffordert, ihre Quellen aufzudecken, obwohl Diskretion und Quellenschutz die wichtigsten Prinzipien von Wikileaks sind. Kritiker sehen hier eine Doppelmoral von Assange. Sonst gibt er sich als ein großer Verfechter der großmöglichsten Transparenz, wie hier in einer seiner Reden zu hören ist.
Assange: „In einigen Fällen kann ein geheimes Video einen Krieg stoppen. 50 Videos können das definitiv. Wir feilen deswegen an einem System, dass automatisch so viel neue, sensible, und geheime Dokumente zusammenstellt wie möglich – Dokumente, die ein politisches Umdenken auslösen.“
Im Juli gelingt Wikileaks solch ein Coup: 77.000 Dokumente aus dem Afghanistan-Krieg sorgen für großes öffentliches Interesse. Aber auch für viel Kritik von den US-Behörden.
In den folgenden Wochen gibt es um Wikileaks nur negative Schlagzeilen. Mitarbeiter sprechen von Führungsstreitigkeiten. Der deutsche Sprecher Daniel Schmitt, eigentlich Daniel Domscheidt-Berg, verlässt Wikileaks. Aber auch andere Mitarbeiter berichten von Führungs-Problemen, technischem Chaos und einer Arbeitsüberlastung. Sie kritisieren auch, dass vor allem prestigeprächtigen Dokumenten der Vorzug gegeben werde. Parallel dazu werden in Schweden die ersten Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Wikileaks-Chef erhoben. Ein erster Haftbefehl wird nach einiger Zeit wieder aufgehoben. Einige fordern Assange auf, seinen Wikileaks-Posten ruhen zu lassen, bis die Vorwürfe geklärt seien. Andere sehen in diesen Vorwürfen eine Verschwörung oder sogar eine Rache der US-Behörden, um Wikileaks zu schwächen.
Ende Oktober gelingt Wikileaks aber ein weiterer Coup: 400.000 Militärdokumente aus dem Irak-Krieg erscheinen. Die Öffentlichkeit gibt sich beeindruckt. Die New York Times, der Guardien und der Spiegel konnten die Dokumente vorab analysieren. Für Assange eine Gelegenheit, um wieder für Wikileaks aufzutreten, wie hier in einem Interview mit dem britischen Sender Sky News.
Assange: „Diese Dokumente geben sechs Jahre Geschichte wieder – und zwar den Irak-Krieg von 2004 bis 2010. Das ist die außergewöhnlichste Sammlung über einen Krieg die je veröffentlicht wurde.“
Die Analysten sind beeindruckt, welch detailliertes Bild die Dokumente von dem Krieg geben und sehen klare Beweise für Kriegsverbrechen. Doch auch hier lässt Assange nicht nur die Dokumente für sich sprechen, sondern fällt erneut als Provokateur auf. Er wird auf einer Pressekonferenz gefragt, ob er sich, wie die US-Behörden, Sorgen um die Soldaten macht, die in den jetzt veröffentlichten Militär-Dokumenten auftauchen?
Assange: „Nein, ich mache mir aber Sorgen, dass die Presse an solche Aussagen vom Pentagon glaubt. Das Pentagon ist nicht in der Lage die ganzen Dokumente in der kurzen Zeit zu überprüfen. Das ist unmöglich. Sie versuchen einige irreführenden Aussagen zu benutzen, um die Weltpresse an der Nase herumzuführen – so wie sie das schon beim letzten Mal mit ähnlichen Statements gemacht haben. Sie haben berichteten etwas, was nicht wahr ist.“
Solche Antworten klingen nach Verschwörungstheorie. Doch die Tatsache, dass in dieser Woche erneut Haftbefehl gegen Assange erlassen wurde, lässt auch die Frage zu: Ist es Zufall, dass die Vergewaltigungs-Vorwürfe wieder herausgeholt werden, nachdem Wikileaks wieder ein großer Coup gelangen ist?
Zurück zu dem Assange-Interview mit CNN. Die Reporterin läßt es sich nicht nehmen, weiter zu den privaten Vorwürfen zu fragen. Julian Assange wird das zu viel und steht auf.
Assange: „Wenn sie dieses sehr ernste Interview weiter mit Frage über mein persönliches Leben beschmutzen …“
Reporterin: „Nein, das möchte ich nicht – was ich wissen möchte: Sie sprachen von einer Kampagne mit schmutzigen Tricks …“
Assange: „Nein, das ist ekelig. Ich werde aufstehen wenn Sie weiter … Sorry!…“
Sagte Assange und läßt die Reporterin zurück. So scheint am Ende für Wikileaks in diesen Tagen das zu gelten, was als Überschrift über einigen veröffentlichten Dokumenten zu lesen ist. „Searching for: Truth“ – auf der Suche nach Wahrheit.
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Dieser Beitrag lief am 20. November 2010 im WDR 5 Medienmagazin Töne, Texte, Bilder. Hier geht es zur Sendungsseite und der Podcast ist auf dieser Webseite abzurufen. Das WDR 5 Medienmagazin Töne, Texte, Bilder ist an jedem Samstag von 15:05 – 15:35 Uhr zu hören. Links: Sender – Sendungsseite – Frequenzen– Livestream – Podcast.
Foto: New Media Days / Peter Erichsen
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