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Nach dem Facebook-Event: Der Hype-Journalismus im Schatten der Web-Giganten

VON DANIEL FIENE

Wenn in diesen Tagen ein Milliardenkonzern zu einem “Event” einlädt , dann werden aus Journalisten Jünger. Anders kan man sich nicht erklären, was rund um die Ankündigungen der Apples, Googles und Facebooks dieser Welt in der Berichterstattung passiert. Journalistische Tugenden werden vergessen, denn jeder Klick zählt.

Jubelt, wir machen ein Event!

Mittlerweile gehört es für große Webfirmen zum guten Ton: Wenn ein neues Produkt angekündigt werden soll, wird daraus ein Event gemacht. Damit die Journalisten völlig hörig werden, müssen nur wenige Zutaten vorbereitet werden: Das Wort “Pressekonferenz” wird aus der Einladung gestrichen, “Event” ergänzt und am Besten wird in einem Nebensatz ein völlig neues Zeitalter versprochen. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob das Produkt überhaupt schon fertig ist. Man kann ja wenigstens schon eine Registrierungsseite anbieten, auf der sich Neugierige für die neue Funktion registrieren können. Künstliche Verknappung funktioniert auch im Web 2.0. Das Spiel der Events beherrscht Apple in Perfektion – wird aber auch gerne von Google und immer häufiger von Facebook auf die Spitze getrieben. Zuletzt gestern, bei der Facebook-Ankündigung eines neues Messaging-Systems. Genau das will das soziale Netzwerk rausbringen. Irgendwann.

Wenn es richtig gut läuft, dann berichten die Medien schon im Vorfeld über das “Event”. So auch gestern. Viele spekulierten, ob Facebook ein Googlemail entwickelt. Einige hielten ihren Artikeln zumindest ein Seriösitäts-Feigenblatt vor und berichteten über die Spekulationen rund um den vermeintlichen Googlemail-Killer. Schon in diesen Ankündigungen zeigt sich die verlorene Distanz vieler Journalisten! Wenn der örtliche Verkehrsbetrieb eine neue Buslinie oder neue Fahrzeuge ankündigen will, dann kündige ich diese Pressekonferenz nicht in meinen Nachrichten an. Für Fachblogs ist so etwas nachvollziehbar, aber warum machen das durch die Bank Journalisten von Mainstream-Medien, die sich mit dem Netz beschäftigen? Das ist Hörigkeit und kein Qualitätsjournalismus.

Facebook Wave?

Dann ist das Event da und es wird fleißig mitgeschrieben, getickert und getwittert. Während meist der Unternehmenschef persönlich “spannende” Zahlen präsentiert und dann eine lange Hinführung benötigt, warum das gleich vorgestellte Produkt überhaupt gebraucht wird, reichen die Journalisten die Zahlen und Unternehmens-Fakten direkt weiter, ohne noch mal nachzufühlen. Wenn viele Journalisten die Ankündigungen im Anschluss eins zu eins weiter “verkünden” vergessen sie oft journalistische Standards: Überdenken, Hinterfragen und Überprüfen.

Das kann ganz schön in die Hose gehen. Erinnern wir uns an Google Wave. Dieser Dienst wurde als der E-Mail-Killer von der Presse hoch stilisiert. Die Präsentation war zäh, etwas holprig und schwer nachzuvollziehen. Selbst Experten hatten ihre Schwierigkeiten in einem Satz zu erklären, was genau Google Wave ist. Aber hey: Es war eine Präsentation von Google. Als dann Wochen später endlich alle einen Wave-Zugang hatten, konnten sich die Nutzer selbst von dem Dienst ein Bild machen. Dem in den Artikeln vermittelte Image konnte das Produkt in der Realität nicht gerecht werden. Google hat seine Unterstützung von Wave mittlerweile eingestellt.

In großen Teilen sind auch heute Morgen die Nachberichte vom Facebook-Event völlig unkritisch – und das obwohl die meisten Autoren nicht einmal persönlich das System oder zumindest eine Demo testen konnten. Sie müssen sich auf das verlassen, was ihnen bei dem Event präsentiert wurde.

Die Nachberichte sind schon vorgeschrieben!

Darüber hinaus stellt sich die Frage, wo überhaupt die News ist. Das Facebook-Messaging-System ist noch überhaupt nicht da. Es soll erst in wenigen Wochen kommen. Die Leser der ganzen Artikel können deswegen mit dieser Nachricht noch gar nichts anfangen. Sie können sich kein eigenes Bild machen. Klar, es ist eine Meldung wert, dass man künftig eine eigene @facebook.com-Adresse bekommt – aber mehr als eine Notiz sollte diese Ankündigung doch nicht werden. Das Problem: Ist eine Ankündigung bekannt, werden Texte und Sendeplätze fest eingeplant. Nur wenige Journalisten haben den Mut die Planung auch bei fehlender Relevanz nach dem tatsächlichen Event durcheinander zu bringen. Aber: Wenn Leser immer häufiger feststellen müssen, dass sie nur Unternehmenspräsentationen vorgesetzt bekommen, ohne dass sich Journalisten damit kritisch auseinander gesetzt haben, dann dürfen sich Journalisten nicht wundern, wenn die Leser das Vertrauen in ihre Medien verlieren.

Lächerlich wird es gar, wenn die Geschichten gar größer gemacht werden, als sie es sind. Meedia twitterte gestern Abend: “Facebooks Groß-Offensive geht weiter: Angriff auf Googles Gmail mit neuem Message-Dienst”. Dieser Tweet scheint mittlerweile gelöscht zu sein. Die Überschrift zum Artikel liest sich heute Morgen so: “Google-Angriff: Facebook erfindet E-Mail neu“. Auch kress.de schlägt in die gleiche Kerbe. “Facebook stellt seinen Googlemail-Killer vor” ist dort zu lesen. Das Problem: Mark Zuckerberg hat die Vor-Gerüchte  auf seinem “Event” angesprochen und explizit erklärt, dass es sich weder um ein neues E-Mail-System handelt, noch eine Googlemail-Killerfunktion. Das neue System soll Googlemail sogar ergänzen. Aber das scheint einige Journalisten zu überfordern. Gut hat es die US-Seite Mashable gemacht. “It’s Not E-Mail“, wird Zuckerberg in der Überschrift zitiert.

So entsteht ein Hype-Journalismus. Die Tatsache, dass ein Unternehmen einen Dienst entwickelt und die Absicht hat, diesen in wenigen Wochen zu starten, wird zur Top-Geschichte. PR-Profis haben ganze Arbeit geleistet, der Nutzen für die Leser bleibt auf der Strecke.

Die nächste “Ankündigung” ist bereits von Apple angekündigt worden. Heute um 16 Uhr soll es eine Ankündigung in Sachen iTunes geben. “Ein Tag wie jeder andere, den wir aber nie vergessen werden” – der wird uns versprochen. Ob die Schlagzeilen schon vorformuliert sind?

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